Wann bist du zuletzt in eine Geschichte hineingekippt? Hast nicht aufhören können zu lesen, weil du unbedingt wissen musstest, wie es weitergeht? Ich wette mit dir, dass dabei eine Figur eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Umso schlimmer, wenn deine Figuren langweilen.

Nicht Handlungen fesseln, sondern angreifbare Figuren

Wir brauchen jemanden, mit dem wir uns identifizieren, den wir mit Interesse beobachten oder, noch besser, in den wir hineinschlüpfen können. Du kannst mir einen Vulkanausbruch realistisch schildern, ein Erdbeben, einen Tsunami oder eine verheerende Schlacht, sie wird mich vollkommen kalt lassen, wenn ich nicht um eine Figur zittere.

Persönliche Beteiligung

Das funktioniert allerdings nur, wenn die Figuren leben und keine Abziehbilder werden. Wir können uns als Leser so manches vorstellen, ich kann mich in einen Schurken ebenso versetzen wie in einen strahlenden Helden – wenn ich weiß, wie er tickt. Und genau da liegt der Hund begraben. Es ist vollkommen egal, ob du einen Helden oder einen Antihelden schreibst, ob deine Figur männlich, weiblich, ein Mensch, eine Fee, ein Elf oder ein Drache ist. Solange du weißt, warum sie etwas tut.

Motive deiner Figuren sind der Schlüssel zur Handlung

Statte daher alle wichtigen Figuren mit einem Grundkonflikt aus. Es ist wie bei realen Menschen, es gibt etwas, das denjenigen antreibt, und etwas, an dem er sich ständig abarbeitet. Daraus entstehen Konflikte. Diese Konflikte kannst du in einer Geschichte lösen oder deinen Helden daran scheitern lassen (das wäre das Muster der Tragödie), auf jeden Fall lösen sie Handlungen aus. Im Gift der Schlange beispielsweise macht der Marchese aus seinem Hochmut heraus Fehler, aber auch aus seiner Einsamkeit, egal, wie gut er sie überspielt. Würde er keine Fehler machen, wäre die Geschichte langweilig. Und, nebenbei bemerkt, nach hundert Seiten zu Ende.

Fehler machen eine Figur erst menschlich

Als Kind habe ich leidenschaftlich gerne Karl May gelesen, aber Old Shatterhand hätte ich an die Wand klatschen können. Ein omnipotenter Tausendsassa, der nichts falsch machen kann. Und wenn er es doch einmal tut, damit die Handlung nicht stecken bleibt, tut er es mit einer Großkotzigkeit, die ihn den anderen Figuren (einschließlich Winnetou) erst recht überlegen macht.

Und doch tappte ich beim Schreiben oft in dieselbe Falle. Wir mögen nun mal Helden, und ich stehe auf diese starken, charismatischen Figuren. Nur brauchen sie wenigstens einen Punkt, an dem sie verletzlich, an dem sie angreifbar sind. Und aus diesem Punkt heraus entwickelst du die Handlung.

Bring deine Figuren an ihre Grenzen

Romane leben von starken Gefühlen. Solange eine Figur alles unter Kontrolle hat, können wir sie vielleicht bewundern, aber nicht mit ihr mitfühlen. Doch wenn etwas auf dem Spiel steht, wenn sie zu scheitern droht, dann wird es interessant. Das funktioniert übrigens im Liebesroman genauso gut wie im Thriller oder in der Fantasy.

Bevor ich zu schreiben beginne, entwerfe ich meine Figuren, und das lege ich auch dir dringend ans Herz. Zum Einstieg habe ich daher für dich eine strukturierte Anleitung entwickelt, mit der du dir die Basis für eine komplexe Figur schaffen kannst. Du kannst sie dir hier holen.

Viel Spaß beim Schreiben!

ls-unterschrift

Bild: © ViewApart – Fotolia.com