Vor Kurzem haben wir geklärt, ob du ein Gesicht überhaupt beschreiben solltest, heute sehen wir uns an, wie du das am geschicktesten anstellst. Du weißt mittlerweile, warum deine Leser eine bestimmte Figur auch bildlich vor sich haben müssen, und kennst den Effekt, den du mit dem Aussehen erzielen willst. Halte dir diese Wirkung stets vor Augen, denn diese Funktion bestimmt, was und wie du erzählst. Mit folgenden Tipps hältst du deine Leser bei der Stange und bietest ihnen nicht nur Beschreibung, sondern ganz großes Kino.

Infodumping macht sich nie gut

Eine todsichere Methode, den Leser ins Reich der Träume zu schicken, ist Infodumping. Hau ihm alles um die Ohren, was dir so einfällt, am besten gleich auf Seite eins, und nimm dir ruhig Zeit dafür bis zur dritten Seite. Mindestens. Das ist punktgenaues Zielgruppenmarketing, so vergraulst du nämlich alle, die nicht dein Schönheitsideal teilen, und stimmst den harten Kern einer potenziellen Leserschaft darauf ein, dass er sich nicht allzuviel an Handlung erwarten sollte. Wer Stifter mag, wird deinen Roman lieben! (Wenn du Stifter nicht kennst — Pageturner schrieb der gute Mann nicht. 😉 )

Wesentlich schlauer ist es, die Informationen aufzuteilen und immer wieder ein Häppchen einzustreuen. Beginne mit dem wichtigsten Merkmal einer Figur, mit dem, was sofort an ihr auffällt. Den Rest kannst du immer noch nachreichen. Hey, du hast dreihundert Seiten oder mehr zur Verfügung!

Wer ein Gemälde sehen will, geht ins Museum

Spannung entsteht durch Dynamik. Leser wollen Figuren handeln sehen, sie wollen sie in Entscheidungen erleben, aber kein Bild bestaunen. Du wirst sie daher dann für das Aussehen deiner Figur gewinnen, wenn du die Beschreibung mit der Handlung koppelst. Nehmen wir einmal an, ein Serienvergewaltiger wird gesucht, und im Kommissariat hängt sein Konterfei zwischen den anderen Fahndungszetteln. Du schreibst also, dass er ein trapezförmiges Gesicht hat, buschige Augenbrauen und einen brutalen Zug um den Mund.

Oder du schickst einen Phantombildzeichner ins Spital. Der rückt einen Stuhl ans Krankenbett des neuesten Opfers, schlägt seinen Zeichenblock auf und setzt den Bleistift an.

»Nein, nicht so rund, mehr eckig.«
»So?« Er schneidet die Kurven ab und zieht an den Seiten Striche von oben nach unten.
»Oben schmäler.«
Er tippt mit der Bleistiftspitze auf den Zeichenblock, dort, wo die Schläfe sich befindet, und sieht die Frau fragend an. Sie zögert, er versetzt den Bleistift weiter nach innen, noch ein Stück, da verzieht das Opfer gequält die Augenbrauen. Diesmal führt er den Stift forsch, vor seinen Augen nimmt das Gesicht des Mistkerls eine trapezförmige Form an.
Die Lippen muss er verbreitern. Der Schwung fällt zu sinnlich aus, er radiert die weiche Kontur weg, bläst die Radiergummifussel vom Blatt und schraffiert den Mundwinkel neu. Voll hatte sie gesagt, aber fleischig gemeint. »Härter«, weist sie ihn an, »gemeiner«, und er zeichnet den Mund noch brutaler. Am liebsten hätte er diesem Tier eine in seine miese Fresse gehauen.

Zeige die Wirkung

Wenn du die Beschreibung in die Handlung einbaust, kannst du auch wunderbar die Perspektive nutzen. Der Phantombildzeichner handelt einerseits (er zeichnet das Bild), wir kennen aber auch seine Gedanken. Seine professionellen Überlegungen lassen das Bild vor unseren Augen entstehen, emotionale Einsprengsel erwecken unsere Sympathie für das Opfer und unsere Abscheu vor dem Täter. In diesem Fall wollte ich Entrüstung, ich hätte aber auch ganz andere Effekte in den Text schreiben können. Ein Engelsgesicht, das dem Zeichner selbst gefällt, bei dem es ihm schwerfällt, das Monster hinter der freien Stirn und den offenen Augen zu erkennen. Den verletzlichen Ausdruck, der durch die winzige Narbe oberhalb der rechten Lippe hervorgerufen wird, und durch den der Täter seine Opfer täuscht.

Charakteristische Details

Konzentriere dich auf wenige Details, die aber genau auf die Wirkung abzielen, die du haben willst. Auf welche Weise ist jemand schön? Wirkt die Schönheit offen, sympathisch, faszinierend? Ssatanisch, unschuldig, sinnlich? Suche dir Einzelheiten, die genau diesen Eindruck hervorrufen. Das gilt natürlich auch für Hässlichkeit, Makel oder Durchschnittsgesichter. Was macht ein Gesicht durchschnittlich? Suche selbst hier das Besondere. Vielleicht einen ein wenig einfältigen Blick. Hängende Mundwinkel, denen man ansieht, dass ihr Träger sich nie die Mühe macht, eine eigene Meinung zu formen, geschweige denn sie zu vertreten. Die so lasch sind wie die Person selbst.

Lass Gesichter sprechen

Wenn du von der Wirkung ausgehst, sitzt du auch nicht so leicht Klischees auf. Dann ist nämlich ein gemeißeltes Kinn nicht mehr das 08/15-Gesicht aus der Rasiererwerbung. Dann ist das Feuermal nicht die Beeinträchtigung der innerlich doch so makellosen und reinen Heldin, der ach so armen (und platten!) Seele, der das Schicksal viel zu hart mitspielt. Dann ist die Narbe nicht das stereotype Abzeichen eines Haudegens, Brutalos oder Kriegers.

Welche Mechanismen entwickelt die Figur? Wer faszinierende Augen hat, weiß das für gewöhnlich und wird daher seine Blicke entsprechend einsetzen. Zeige diese Augen »in action«. Ein fliehendes Kinn wünscht sich vermutlich keiner, aber wie kompensiert es eine Figur? Hält sie die Mundwinkel stets unter Spannung, trägt sie die Nase etwas höher und gibt sich einen megawichtigen Eindruck?

Man kann mit den Augenbrauen sprechen, sie zusammenziehen, hochziehen, eine Braue heben. Lippen und Mundwinkel erzählen Bände, auch ohne dass dabei ein Laut den Mund verlässt. Du kannst sie kräuseln, abfällig nach unten verziehen, nach oben wandern lassen, breit grinsen oder einer Figur durch ein Fischmaul einen richtig dümmlichen Ausdruck verleihen.

Charaktere und Typen

Du merkst schon, Mimik liefert dir jede Menge Material zur Figurencharakterisierung, wenn du dabei in die Tiefe gehst. Mit ein paar Merkmalen kannst du aber auch Typen skizzieren, das ist besonders bei Nebenfiguren und in Massenszenen hilfreich, wo du nicht den Platz hast, um einen ausgefeilten Charakter zu entwickeln. Hängebacken, scharfe Nasen, feingeflügelte Nasen, Stupsnasen oder Adlerzinken geben sofort ein Bild von einer Figur. Ja, das sind Klischees, aber Typen leben vom Klischee.

Pass aber bitte auf, dass du eine Type nicht unabsichtlich zur Witzfigur machst, denn Überzeichnung passt nicht in jedes Genre. In Kabarett, Comedy oder Farce sind sie in Ordnung, in der Tragödie eher weniger. Manche Einfälle klingen vielleicht ganz witzig, aber sind sie es noch bei näherer Betrachtung? Eine Tunte mit blondierten Augenbrauen auszustatten, sorgt zwar für einen nachhaltigen Eindruck dieses Herrn, aber wie realistisch ist es, dass sich ein normaler Mensch die Augenbrauen aufhellt? Effekte sind gut, aber bitte mache dir bewusst, in welchem Genre du schreibst, bevor du einen Effekt um des Effekts willen platzierst.

Bewege die Bilder

Wenn sich etwas bewegt, sehen wir automatisch hin, Bewegung fällt auf und beschäftigt uns. Lass deine Figur mit Händen und Füßen reden, wenn es zu ihr passt. Greift sie sich vor Verzweiflung ins Haar? Das ist die Gelegenheit, ihren dichten Schopf zu zeigen. Deine Heldin hat nicht einfach eine lange, blonde Mähne, sondern Mister Unperfect verzehrt sich danach, seine Hand in ihr Haar zu tauchen, diese Strähnen durch seine Finger zu ziehen, sie zu durchkämmen und in der seidigen Glätte zu schwelgen. Eine Nixe lehnt sich zurück in die Fluten, ihr Haar breitet sich aus, umspielt sie und wallt weich im Wasser. Und wenn du einmal nicht das Bild bewegen kannst, bewege zumindest die Kamera.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Manchmal finden sich in der Literatur Stellen, die diese Tipps nicht beherzigen und dennoch funktionieren. Wenn du Karl May gelesen hast, kannst du vermutlich Winnetou bis ins kleinste Detail beschreiben, vom durch die Klapperschlangenhaut gebändigten Helmschopf bis zu den mit Stachelschweinborsten besetzten Mokassins. Ja, Karl May widmet dem schönsten aller Indianerhäuptlinge seitenweise Raum, aber das tut er bei allem, was man anschauen kann, Landschaften inklusive. Beim flüchtigen Lesen blendet man das Bild aus, es entsteht erst durch die ständige Wiederholung — in allen vierzehn Bänden, in denen Winnetou vorkommt, wird es fast identisch heruntergespult. An Winnetou müssen wir uns uns genau zwei Dinge merken: langes Haar und schwarze Augen, die kommen auch abseits der ersten Beschreibung ständig vor. Die Wirkung, die May erzielen will, ist auch klar: schön und exotisch.

Wenn Figuren erscheinen

Was du an Winnetou sehr gut beobachten kannst, ist der Auftritt. Der Mann schlendert nicht einfach um die Ecke, diese Figur erscheint. Ihr Auftauchen hat etwas beinahe Sakrales. Wenn du das erreichen willst, halte die Handlung ganz bewusst an, dann inszeniere den Auftritt, denn jetzt darf der Leser nur mehr eines: Mit offenem Mund staunen.

 

Auf welche Wirkung legst du wert, was sollen Leser an deinen Figuren sehen und wie sollen sich sich dabei fühlen?

Viel Spaß beim Schreiben!

Deine Barbara

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