Eigentlich ist es schon viel zu spät, morgen wird der Wecker klingeln und in der Arbeit wirst du wie ein Zombie herumgeistern. Aber du schaffst es einfach nicht. Du musst noch eine Seite lesen und noch dieses eine Kapitel. Wirklich nur das eine, oder vielleicht doch noch … Das ist Spannung. Und ohne Spannung kannst du keine Pageturner schreiben. Aber wie geht Spannung?

Dein Leser will es unbedingt wissen!

In welchen Romanen würdest du Spannung erwarten? Vermutlich fällt dir als Erstes der Thriller in seinen unterschiedlichen Varianten ein. Der Spionageroman wahrscheinlich, möglicherweise auch Science Fiction oder Fantasy. Wo es so richtig kracht und hektisch zugeht halt, oder? Aber Spannung gehört genauso in einen Liebesroman und ja, natürlich in einen Krimi.

Spannung hat nichts mit Horror, Splatter oder Action zu tun, eigentlich können solche Bücher sogar ziemlich langweilig sein, wenn es nur um die Effekthascherei geht. Spannung entsteht, weil der Leser etwas nicht weiß, was er aber unbedingt wissen will.

Spanne deinen Leser auf die Folter!

Nur du als Autor entscheidest, wann du etwas verrätst. Steuere, wann und wie du deine Informationen preisgibst, Stück für Stück. Ja, ich weiß, du hast den Hintergrund deiner Charaktere ausgearbeitet, du kennst die Motivationen und die fiesen Pläne der Antagonisten und du brennst darauf, dein Wissen weiterzugeben. Weil es halt so ein toller Plan ist! (Ich spüre dich gerade mit den Füßen trommeln und weiß, wie es dir in den Fingern juckt 😉 )

Aber genauso, wie du darauf brennst, alles auszuplaudern, genauso brennen deine Leser darauf, es zu erfahren.

Dein Prickeln, uns in deine Pläne einzuweihen, ist gut, denn es sorgt für das Knistern im Roman. Die Ungeduld, die du beim Schreiben spürst, empfindet später dein Leser, und dann hast du gewonnen.

Was-Spannung (Das Geheimnis der Handlung)

Meistens verbinden wir mit Spannung die Neugier auf das, was noch passieren wird, und nicht wenige Leser protestieren lautstark »Spoiler!«, wenn in Rezensionen zu viel verraten wird. Auch Autoren glauben oft, dass der Genuss des Buches zerstört ist, wenn die Leser das Ende bereits kennen. Ich gebe zu, auch ich mag die Was-Spannung, sowohl als Autor als auch als Leser. Ich käme nie auf die Idee, auf die letzte Seite vorzublättern, weil ich mich um sehr viel Leselust bringen würde.

Das Schicksal von Personen lässt uns mitfiebern

Damit Leser wissen wollen, wie es weitergeht, musst du sie vor allem für deine Figuren begeistern, mit denen fiebern sie nämlich mit. Eine Bombe tickt unter einem Auto. Na und? Wenn das Auto neben einer Schule steht, bekommst du allerdings Magengrimmen. Wenn ein Ball zu einem Reifen rollt, und sich ein Kind niederbeugt, beginnt dein Herz zu klopfen. Und wenn statt Rolf, der dem Terroristen schon ganz knapp auf den Fersen ist, diesmal seine Frau ihre kleine Tochter von der Schule abholt, wenn sie einsteigen und Mama den Zündschlüssel umdreht, kannst du kaum noch atmen.

Du brauchst einen Protagonisten, mit dem sich dein Leser identifizieren kann, dem er die Erfüllung all seiner Träume wünscht und den er vor Unheil bewahren will. Denn ganz egal, ob es die Hexe ist, der der Scheiterhaufen droht, ob der Chirurg das erste Mal nach seinem Kunstfehler-Prozess wieder operiert, oder ob Kerstin den Heiratsantrag von Dieter annehmen wird, wo wir doch alle wissen, dass Klaus sie heimlich liebt, beim Lesen ergreifen wir Partei für eine Figur. Und im Idealfall spielen wir diese Figur selbst.

Meiner ist länger

Nein, nicht was du denkst 😉 Sondern der Spannungsbogen! Je länger du deinen Leser über das Schicksal deiner Figur im Dunkeln tappen lässt, desto hibbeliger wird er werden. Das ist der Grund, warum du nicht in der ersten Sequenz alles verraten sollst, warum Antagonisten ausgefuchst sind, sich aber bedeckt halten.

  • Gib deinem Leser gerade so viel Information, dass er ein Geheimnis wittert, aber lass ihn schmoren.
  • Mache ihn mit kleinen Vorausdeutungen neugierig.
  • Verzögere den Handlungsfortgang durch Retardation. (Aber halte dabei die Spannung am Köcheln!)

Rätselraten de luxe

Manche Leser beziehen die Spannung nicht aus den Figuren, sondern sie spielen gerne selbst Detektiv. Für Mystery-Leser wirst du einen ausgeklügelten Plot entwerfen, sie sind neugierig, ob der rote Handschuh aus Kapitel 2 in Kapitel 10 eine tragende Rolle spielt. Vor allem wenn du einen Whodunnit-Krimi schreibst, musst du falsche Fährten legen aber auch Anspielungen einbauen, die nicht sofort ins Auge springen, doch das Mitraten ermöglichen. Nichts ist für einen Krimi-Leser ärgerlicher, als wenn du am Ende das Verbrechen aufdeckst, aber entscheidende Informationen komplett vorenthalten hast.

Es ist wichtig, dass du die Informationen zeitlich genau steuerst. Und genauso wichtig ist es, dass du Handlungsbezüge gekonnt verschleierst. Informationsvergabe zum richtigen Zeitpunkt ist die hohe Kunst des Whodunnit-Krimis, aber du kannst diese Technik in vielen Genres raffiniert einsetzen.

Surprise oder Suspense?

Alfred Hitchcock, der Großmeister der Spannung, unterschied zwei Formen von Spannung. Nehmen wir das Beispiel mit dem Auto noch einmal her: Ahnt der Leser nichts von der Bombe und steigen Mutter und Kind ein, und plötzlich geht die Bombe hoch, ist das für den Leser unbestreitbar ein Schockmoment. Aber wie lange wird diese Spannung andauern? Surprise, also Überraschung, beschert uns eine kurze, heftige Emotion.

Aber wie viel größer ist die Angstlust bei Suspense, wenn du den fürchterlichen Moment hinauszögerst? Wenn du zeigst, wie der Terrorist die Bombe montiert, wenn das kleine Mädchen auf dem Weg von der Schule zum Parkplatz erzählt, was es gezeichnet und dafür ein Sternchen bekommen hat. Dein Leser fühlt den Stolz, er fühlt das Glück von Mutter und Tochter und hört dabei die Bombe ticken. Es schnürt ihm die Kehle zu, denn er fiebert die ganze Zeit mit, dass die beiden bitte, bitte nicht in dieses Auto steigen! Und wenn Mama ihre Tochter angurtet, den Zündschlüssel einsteckt und …

Ich überlasse es dir, wie du die Szene ausgehen lässt.

Wie-Spannung (Das Geheimnis des Handwerks)

Oben habe ich dir gesagt, dass sich viele Leser und Autoren über Spoiler beschweren, und es ist tatsächlich schwierig, den Inhalt eines Romans wiederzugeben, der nur auf Was-Spannung aufgebaut ist. Warum aber funktionieren manche Romane trotzdem, wenn du das Ende kennst? Warum kannst du sogar manche Thriller oder Krimis mehrmals lesen, und warum gibt es Leser, die nach dem Anfang als Nächstes das Ende lesen und das Buch dann trotzdem genießen?

Weil es neben der Frage was passiert auch die Frage nach dem Wie gibt. Weil es einfach Spaß macht, den Helden zu folgen und zu beobachten, wie sie sich trotz Informationsdefizit durchschlagen. Wie sie auf Fehlinformationen reagieren oder Andeutungen übersehen. Und weil du dich mit ihnen freuen kannst, wenn sie eine wichtige Wissenslücke schließen. Wenn du der Figur gegenüber einen Informationsvorsprung hast, bist du so etwas wie ihr Mentor. Und dann gibt es auch noch die Freude am Handwerk des Autors, aber dazu tauchst du nicht in den Roman ein, sondern liest auf der Metaebene. So funktioniert oft zeitgenössische Literatur.

Die Spannung für Psychologie-Freaks

Neben dem Was und dem Wie gibt es noch eine spannende Frage. Warum? Warum begeht der Mörder einen Mord? Warum entscheidet sich Kerstin für Dieter und nicht für Klaus? Warum zittert die Hand des Chirurgen bei der OP? Das sind manchmal stille Romane, die sich in den leisen Zwischentönen abspielen. Oder Psychothriller. Oder Krimis, bei denen der Mörder auf Seite 1 feststeht, und der Kommissar nicht den Mörder sondern das Motiv aufdecken soll. Oft sieht es nach einem Spiel mit der Zeitachse aus, aber bald entpuppt sich, dass die Story eine ganz andere ist, als du erwartest 😉

 

Ohne Spannung wirst du Leser nur schwer dazu bringen, deinen Roman Seite um Seite zu verschlingen. Doch wie du siehst, musst du nicht reißerisch schreiben, um Spannung zu erzeugen. Es reicht, wenn du dir überlegst, wodurch du neugierig machen willst. Vielleicht möchtest du ja einmal mit den unterschiedlichen Formen experimentieren?

Viel Spaß damit und viel Spaß beim Schreiben!

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