Ich denke, wir sind uns mittlerweile einig, dass eine gute Geschichte von mitreißenden Figuren lebt. Sie machen einen Plot erst einzigartig und machen eine ganz bestimmte Handlung plausibel. Und wenn du ganz ausgefuchst bist, lässt du sie auch die Information steuern. Wem gehört in deiner Erzählung die Perspektive?

Von außen drauf oder mitten drin

Du kannst dich wie ein Kameramann an den Rand deiner Geschichte stellen und einfach alles filmen, was du vor der Nase hast. Dann hast du zwar sehr viel festgehalten, aber so wirklich nah und prickelnd wird dein Roman nicht. Wie der Forscher im Labor seine Ratten beobachtet, beobachtest du deine Figuren, sie sind Teile eines Experiments. Vielleicht ist dieses Experiment ja sogar ganz interessant, aber du wirst dadurch immer nur feststellen, dass eine Figur etwas tut, doch nicht warum. Und wenn du als Erzähler es nicht weiß, woher soll es dann dein Leser wissen? Aber du willst ja, dass er mitfiebert, dass er unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Und dazu braucht er persönliche Beteiligung.

Identifikation ist alles

Ok, es soll Menschen geben, die sind so auf sich fokussiert, dass sie allen anderen ihre eigenen Motive drüberstülpen. Und wenn sie es schon mit anderen Menschen machen, dann erst recht mit anderen Romanfiguren. Um diese Leser musst du dich in unserem Zusammenhang nicht kümmern, die ziehen sich eine Geschichte rein wie einen Joint und kreisen im Nebel ausschließlich um sich selbst. Manchmal verbrämen sie das mit dem Begriffsmäntelchen „interessierter Beobachter“, sie sind die Forscher, die eine fremde – nämlich deine – Versuchsanordnung ansehen und dann gleich wieder vergessen.

Wen du für eine packende Lektüre erreichen musst, ist der Leser, der sich mit einer Figur identifiziert, auch wenn sie anders tickt als er selbst. Und dazu musst du ihm klar machen, warum sie so tickt. Warum das nicht alles Blödsinn ist, nur weil es den Erfahrungshorizont deines Lesers sprengt, sondern warum deine Figur so handeln muss. Wenn er dann mit der Figur zittert, sich freut, heult, wütend ist und so weiter, dann hast du ihn. Dann will er wissen, was mit deiner Figur passiert und dann wird er nicht ruhen, solange er die Buchstaben noch entziffern kann.

Wer erzählt, bestimmt

Eine Entscheidung musst du treffen, bevor du den ersten Satz schreibst: Wer erzählt die Geschichte und durch wessen Augen sollen die Leser sie erleben? Eine der frühesten Erzählformen war die auktoriale Erzählung, hier erzählt ein allwissender Autor. Und weil der Autor allwissend ist, weiß er natürlich, was in den Figuren vorgeht. Es funktioniert, hat aber etwas Oberlehrerhaftes und damit ziemlich Uncooles an sich. Das andere Extrem ist die Ich-Erzählung, eine Figur erzählt die Geschichte, und der Leser erfährt alles aus dem Blickwinkel dieser einen Figur. Was sie nicht weiß, weiß niemand. Ist so.

Die personale Erzählung

Und dann gibt es den Mittelweg. Du erzählst zwar in der dritten Person, aber aus der Sicht einer Figur. Für dich hat das den Vorteil, dass du kurzfristig auch in die auktoriale Erzählweise schlüpfen kannst (was ich dir aber wegen des Verfremdungseffekts nur sehr dosiert empfehle). Vor allem aber kannst du steuern, wie nahe du deinen Leser an deine Figur heran lässt, und das von Szene zu Szene unterschiedlich. Mal erzählst du einfach aus der Figurenperspektive, dann wechselst du zu erlebter Rede und lässt den Leser das ganze Fühlen und Denken deiner Figur mitmachen. Und beim inneren Monolog spricht der Leser die Gedanken der Figur mit, näher und intimer geht es nicht.

Aber dann kann ich ja nur etwas erzählen, wenn die Figur dabei ist!

Richtig. Das ist der Nachteil, wenn du dich auf die Perspektive einer Figur beschränkst. Wie bei der Ich-Erzählung gibt es auch hier nur das Wissen dieser einen Figur. Außer … Der Trick ist ja, nicht auf die Figuren draufzuschauen, sondern in sie hineinzuschlüpfen. Aber wer sagt, dass du nur in eine Figur schlüpfen darfst? Du kannst die Perspektive in der personalen Erzählung wechseln, auf diese Weise ist Das Gift der Schlange geschrieben. Mit einer einzigen Ausnahme behalte ich die Perspektive immer über eine ganze Szene bei, und in dieser einen Ausnahme machte ich den häufigen Perspektivwechsel sehr bewusst, um eine Situation zuzuspitzen.

Vergiss mir ja nicht den Gegenspieler!

Du kannst eine Szene aus der Sicht des Helden schreiben, eine andere aus der Sicht seines Sidekicks, dann ist der Gegenspieler dran. Szenen aus seiner Sicht haben eine ganz fiese Dynamik, im wahrsten Sinn des Wortes. Und auch ein Bösewicht hat spannende Motive!

Nächste Woche verrate ich dir, wie du dich auf eine Perspektive beschränkst und trotzdem den Leser die anderen Figuren erleben lässt.

Bis dahin … Viel Spaß beim Schreiben!

ls-unterschrift

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