Gib einem Mann eine heiße Frau auf der Motorhaube einer ebenso heißen Karre, und seine Augen werden leuchten. Gib einer Frau einen Latin Lover, und ein leiser Schauer wird ihr über den Rücken laufen. Keine Frage, Sex macht uns an, und was früher noch tabuisiert oder eindeutig ins Reich der Pornografie verbannt war, hat schon längst Einzug in die Unterhaltungsliteratur genommen. Wie aber verläuft die Grenze zwischen erotischen Hausfrauenfantasien und Sexszenen, die deinem Roman etwas bringen? Wie nutzt du Liebesszenen gekonnt auch fernab von Fifty Shades of Grey?
Inhalt
Wen willst du befriedigen?
Die Frage aller Fragen ist dieselbe wie bei allem anderen in deinem Roman: Wem nützt es? Willst du dich selbst aufg…, äh, entschuldige, befriedigen, oder willst du deinem Leser Lust verschaffen? Geht es ausschließlich um dein eigenes Vergnügen, dann bist du möglicherweise mit einem erotischen Tagebuch besser beraten. Romane aber schreiben wir besser nicht (nur) für uns, sondern für unsere Leser.
Es ist wie bei den Filmsexszenen: Wo die Funken zwischen Leinwand und Publikum sprühen, steckt in den meisten Fällen Knochenarbeit dahinter, die alles andere als erotisch ist. Willst du eine erinnerungswürdige Sexszene schreiben? Dann wirst du selbst sie wahrscheinlich erst dann genießen können, wenn sie fertig ist und du die Endfassung durchliest.
Jedes Genre hat seine Konventionen
Wie deine Sexszenen aussehen, hängt mit dem Genre zusammen, in dem du schreibst. Manche Genres verlangen Sex, andere wiederum kommen ganz gut, vielleicht sogar besser, ohne aus. Das Genre bestimmt auch das Tempo und die Stimmung, in Chicklit liest sich eine Liebesszene anders als in einem Krimi oder Thriller. Der Ton macht die Musik, und der Ton wird vom Genre vorgegeben – nicht nur vom Stöhnen 😉
Ohne Spannungsbogen ist auch Sex nur lauwarm
Nein, ich gebe dir jetzt keine Anleitung für ein gelungenes Liebesleben 😉 Aber was Szenen spannend macht, habe ich dir bereits anhand von Dialogen verraten. Du brauchst einen Spannungsbogen. Wie du den Spannungsbogen im Liebesakt ziehst, überlasse ich deiner Lebenserfahrung, im Roman ergibt er sich aus der Veränderung zwischen Anfangs- und Endzustand. Eine Liebesszene, deren einziger Inhalt mehr oder weniger lustvolle Verrenkungen sind, befriedigt möglicherweise Porno-Leser, ist aber ansonsten langweilig.
Warum überhaupt das Bettgeflüster?
Ich baue selbst gerne Sexszenen in meine Romane ein, allerdings nie als Selbstzweck. Die Art, wie eine Figur mit dem anderen (oder auch gleichen) Geschlecht umgeht, verrät sehr viel über ihren Charakter. Deshalb nutze ich Sex sehr gerne zur Figurencharakterisierung. Der Held hat anders Sex als der Sidekick und erst recht als der Bösewicht. Er wird sich seinem Love Interest aber auch anders nähern als einer Affäre, es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Austausch von Körpersäften und Liebe machen.
Neben der Figurenzeichnung kann das auch Spannung oder Entspannung sein, eine Verschnaufpause im Thriller, ein explosionsartiges Finale im Liebesroman, ein Mysterium im Fantasyepos oder eine komödiantische Einlage im Krimi. Hier sind deiner Fantasie keine Grenzen gesetzt.
Weniger ist oft mehr
Auch wenn erotische Romane gerade boomen, es muss nicht immer explizit sein. Bei Sexszenen liegt die Kunst in der Andeutung. Das hat nichts mit Prüderie zu tun, sondern mit Leerstellen. Wenn du deinem Leser ganz genau vorgibst, was er zu sehen hat, schreibst du einen Porno. Auch das kann funktionieren, aber nicht gerade als Pageturner.
Die Leerstelle gibt deinem Leser Raum für seine eigene Fantasie. Das Ziel ist ja, dass er die Stelle einer der Figuren einnimmt und die Szene selbst erlebt. Gib ihm eine Idee von dem, was passiert, aber überlasse es ihm, sich die Details auszumalen und sie vor allem zu fühlen.
Bitte erspare uns Peinlichkeiten!
Damit appelliere ich vor allem an deine Sprache. Sicher, gerade wenn du manches nur andeutest, wirst du zu Sprachbildern und Metaphern greifen müssen. Der Intimbereich ist so tabuisiert, dass wir entweder in übertriebener Schamlosigkeit gegen die Tabus anschreiben, oder nach Synonymen suchen. Wenn ich allerdings von Zauberstäben, Wünschelruten, Lustspendern oder ähnlichen Alternativen lese, dann ist der Zauber bei mir sofort gebrochen, die Wünsche beziehen sich aufs Abendessen und mit der Lust ist es vorbei, bevor sie überhaupt gekommen ist. Wenn ich etwas bei einem Roman definitiv nicht will, dann ist es Fremdschämen!
Die Perspektive bestimmt die Sprache
Um die passenden Synonyme zu finden, denke daran, aus wessen Sicht du erzählst. Ist deine Figur derb oder nobel, ist für sie Sex eine Kunstform, ein amüsanter Zeitvertreib oder lässt sie einfach die Sau raus? Womit du wieder bei der Figurencharakterisierung bist und bei der Notwendigkeit, deine Figuren mit einer eigenen Sprache auszustatten. Manche Figuren werden ziemlich unverblümt über die körperlichen Vorgänge denken, andere tendieren zur Umschreibung. Wissenschaftlich wird aber vermutlich nur der Gerichtsmediziner oder der Psychologe darüber reden, und das auch nur dann, wenn er nicht gerade selbst Sex hat 😉
Was sich wiederholt, nervt
Was isst du besonders gerne? Eis? Schnitzel? Und jetzt stell dir vor, du isst jeden Tag dieselben Eissorten oder drei Monate lang jeden Mittag ein Schnitzel. Irgendwann wird es langweilig. Das ist auch mit allen Elementen, die zu oft in deinem Roman vorkommen, so, sei es Action, Gewalt, Liebesschwüre oder eben Sex. Bei Fifty Shades of Grey warf ich im ersten Drittel des zweiten Bandes das Handtuch – während einer Sexszene! Willst du mehr als eine Liebesszene schreiben, sorge also für Abwechslung, im Idealfall für Steigerung. Denke an den Spannungsbogen! Und mit Abwechslung meine ich nicht nur die Technik.
Was macht uns wirklich scharf?
Warum wurde ein ausgesprochen schlechter Roman solch ein Erfolg? Weil es eben nicht nur um Sex ging, sondern vor allem um Gefühle. Gut, jetzt kann man über die Gefühle von Anastasia und Christian durchaus diskutieren, Fragen nach Realismus und echtem BDSM aufwerfen. Tatsache ist aber, dass zumindest uns Frauen das reine Rein-Raus nicht gerade vom Hocker reißt.
Vergiss das Beschreiben, lass uns erleben! Dein Leser will die Ausstrahlung des Mannes spüren oder die Komplexität der Heldin. Wir wollen Dominanz fühlen oder Hingabe, Raffinesse, Ängstlichkeit, Sicherheit. Es soll knistern oder mich ekeln, ich will die Hand des Machos oder des Softies spüren, die Kindfrau oder den Vamp. Als Leser will ich wissen, mit wem ich im Bett oder im Heuschober liege 😉
Sonderform Vergewaltigung
Extreme sind genau das: extrem. Oben habe ich über Genrekonventionen geschrieben. Mir kommt vor – oder kam es zumindest, ich habe über längere Zeit keinen historischen Roman gelesen –, dass die Vergewaltigung der Protagonistin im historischen Roman geradezu ein Muss ist. Aber wie wird sie meistens abgehandelt? Ein kurzer Absatz, der unbeteiligter schon gar nicht mehr geht. Der Bösewicht stürzt sich auf sie, raubt ihr die Jungfräulichkeit, und im nächsten Absatz steht sie schon wieder auf und verfolgt ihre sonstigen Absichten. Und am Ende geht sie liebend gerne mit dem guten Ritter ins Bett.
Und wo bitte ist die Glaubwürdigkeit, wo das Gefühl? Wo bitte ist das Innenleben der Figur? Solche Szenen ärgern mich. Wenn schon, dann richtig! Dann muss die Vergewaltigung nicht nur in ihrer körperlichen sondern auch in ihrer psychischen Grausamkeit nachvollziehbar sein.
Erotische Romane folgen eigenen Gesetzen
Ich bin keine Expertin für erotische Romane und schon gar nicht für Pornos. Den Unterschied zwischen den beiden Textsorten sehe ich darin, dass der Porno tatsächlich nur zeigt, im Porno geht es nur um den Akt. Im erotischen Roman hingegen wird erzählt, und auch hier bist du gut beraten, Spannungsbögen aufzubauen und dem Leser Identifikationsangebote zu machen. Eine Erzählung als Kulisse für die Aneinanderreihung sexueller Eskapaden finde ich reichlich dürftig, Leser wollen nicht wissen, wo und wie konstruiert das Geheimnis zwischen Blümchen und Bienchen stattfindet, sondern sie wollen mit den Figuren mitfiebern.
An welche Stelle im Roman gehört die Sexszene?
In allen anderen Genres, wo Sex nicht inflationär vorkommt, stellt sich die Frage nach der besten Platzierung. Das hängt von der Funktion ab, die Sex für deine Geschichte hat. Dient er ausschließlich der Figurenzeichnung, dann ist Beiläufigkeit manchmal der richtige Weg. Gerade wenn es um deine Helden geht, solltest du jedoch die sexuelle Energie auch für die Kraft einer Szene nutzen. Wendepunkte und Höhepunkte sind Stellen, die von einer Sexszene profitieren können, dazu zählen übrigens auch verhinderte oder schief gelaufene Liebesszenen. Und manchmal ist Sex sogar das auslösende Ereignis für deine Story, wer weiß?
Erotische Literatur gab es immer schon, oft wurde sie unter der Hand verkauft, oft wurden Symbole verwendet, um die körperliche Vereinigung zweier Menschen anzuzeigen. Eine Haarnadel auf dem Kopfkissen etwa. Heutzutage sind wir sehr frei in der Gestaltung dieser Inhalte, und mit der Freiheit ist es immer so eine Sache. Man muss mit ihr auch umgehen können 😉
Wie gehst du mit Liebesszenen um, verwendest du sie oder scheust du davor zurück? In diesem Sinne, hinterlasse mir doch bitte einen Kommentar, welche Vorteile oder Probleme du in Sexszenen siehst oder welchen Stellenwert sie in deinem Roman haben. Und das Wichtigste:
Viel Spaß beim Schreiben!
PS: Es wird dich nicht überraschen, dass auch dem Thema Sexualität im Gratis-Crashkurs In 60 Minuten zur komplexen Figur Platz eingeräumt wird 🙂
Bild: © BlueSkyImages – Fotolia.com
Eine Definition von Pornographie, die ich ganz sinnvoll finde, bezeichnet die Geschlechtsteile selbst als die eigenetlichen Protagonisten. Die Hauptfiguren sind nur die Transportmittel für sie, die sie von Akt zu Akt tragen.
Das allein wäre schon ein gutes Argument gegen eine unmotivierte Bettszene. Sie sollte auch im Roman eine Funktion erfüllen.
Darüberhinaus hat es ein wenig auch mit Respekt vor der eigenen Hauptfigur aus. Will sie beim Sex beobachtet werden? Die Protagonistin meiner Halblingskrimis möchte das nicht. Die knisternde Spannung zuvor und die intime Ruhe hinterher unter schweißfeuten Laken – das alles beschreibe ich gerne. Doch den Akt selbst? Das lasse ich. Es wäre kaum mehr als die Beschreibung einer paargymnastischen Leibesübung, begleitet von wirrem Gestammel oder Grunzen. Nichts, was ich schreiben könnte, kann das übertreffen, was sich bei Auslassung aller Details im Kopf des Lesers abspielt.
Lieber Alexander,
Respekt gegenüber deinen Protagonisten finde ich ein hervorragendes Argument!!
Liebe Grüße
Barbara
Aussparungen sind meist prickelnder.
Ich würde auch eher nur Andeuten, wohl Genre begründet.
Wobei es da auch dieses eine pikante Projekt gibt, dass ich mich glaube nie traue zu schreiben ^///^
Liebe Sui,
Hat nicht jeder so ein pikantes Projekt? 😉
Liebe Grüße
Barbara
Ich kann nicht in die Köpfe anderer Leute hineinschauen – und will es auch nicht. Ich habe mit meinen eigenen Gedanken genug zu kämpfen?
Schon möglich, dass jeder dieses eine dunkle Projekt hat. Und etwas ambivalent dazu steht.
Manches kann man ja auch nur für sich schreiben oder durchdenken. Die Welt muss nicht alles wissen 😉
Ich mag die Idee und mit weniger Sex würde ich sie definitiv veröffentlichen. Mal sehen. Vielleicht in ein paar Jahren. Solange erfreue ich mich im Geheimen an Charakteren und Story.
Recht so! 🙂
Sex – so aufgeklärt wie wir heute sind – es ist nach wie vor ein anrüchiges Thema und tabu in gewisser Weise immer noch sonst würde es sich nicht so gut „verkaufen“. Romane schreibe ich nicht sondern erotische Kurzgeschichten. Schreibe so, wie ich sie selber gerne lesen würde – mal Porno, mal nur Andeutung, mal ein Mix aus beiden. Kopfkino heißt das Zauberwort, und das gilt für alles, was geschrieben steht. Die Art und Weise holt den Leser ab oder auch nicht – es ist wie mit Stimmen. Mache kann man nicht hören, macht das Hörbuch aus, andere „streicheln“ die Ohren, machen süchtig.
Für welche Leser schreibe ich? Zielgruppendefinition. Allen kann man es eh nie recht machen. Authentisch sein. Das sind für mich die Grundsteine.
Liebe Taja,
Super, dass du als Genre-Schriftstellerin deinen Experten-Kommentar beisteuerst! In der erotischen Kurzgeschichte gelten eben noch mal andere Gesetze.
Ich denke, du sprichst drei ganz wesentliche Punkte an: Kopfkino, Zielgruppe und Authentizität.
Danke und liebe Grüße
Barbara
Ich finde es kommt immer darauf an wer mit wem Verkehr hat. Ein Mechaniker redet anders als ein Bankmanager 🙂
Einzig wichtig finde ich das es nicht zu vulgär klingt zumindest nicht wenn man nicht gerade im „Puff“ seine Szene am Laufen hat 🙂
Was ich als Frau wichtig finde ist, der Respekt gegenüber dem weiblichen Charakter…denn auch wenn es im breiten Volk scheinbar gut ankommt wenn in gewissen Videos der Mann seinen Saft im Gesicht einer Frau vergießt…..ich finde das persönlich sehr erniedrigend.
Aber es ist wie vieles „Geschmackssache“
In diesem Sinne viel Spaß beim ausdenken und erfühlen der „gewissen Szenen“ eurer Charaktere :*
Gruß Mel
Liebe Mel,
Ganz genau! Siehe ja auch den Absatz „Perspektive bestimmt die Sprache“. Bei manchen Figuren muss es allerdings vulgär sein, das hängt mit der Charakterisierung zusammen. Bei den von dir erwähnten Praktikten hast du meine volle Zustimmung, was daran antörnen soll, werde ich nie verstehen. Andererseits kann genau das auch eine Figur charakterisieren und den Abscheu des Lesers für diese Figur hervorrufen. Empörung ist ein starkes Gefühl, das man durchaus nutzen kann! 😉
Liebe Grüße
Barbara