Standarddeutsch? Dialekt? Oder gar Fremdsprache? Sprache ist wichtig für unsere Identität als Autor, aber auch für die Identität deiner Figuren. Und deshalb ist die Wahl der Sprache eine heikle und wichtige Sache.

»Nichts trennt uns so sehr wie die gemeinsame Sprache.« (Fälschlich Karl Kraus zugeschrieben) Dieses  Zitat bemühen wir Österreicher gerne, wenn wir auf unsere Eigenständigkeit hinweisen wollen, während die Eidgenossen sich über Lappalien wie die Klärung der »richtigeren« Standardsprache gar nicht erst aufregen, ihr Swizerdütsch kultivieren und ihr eigenes Ding durchziehen. Und wenn du in einer Großstadt lebst, hörst du schon längst nicht mehr ausschließlich Deutsch. Du siehst schon, Sprache(n) kann man sich auf verschiedene Weise nähern. Hier sind 14 Fakten über die Sprache im Roman, die dir helfen, die richtige Sprache zu wählen.

1. Sprache trennt tatsächlich

Wenn du einen ganzen Roman in Plattdeutsch verfasst, hast du möglicherweise eine glühende Fangemeinde im Norden Deutschlands – nur der Rest versteht dich einfach nicht. Die Gefahr, dass dein Werk für die Mehrheit der deutschsprachigen Leser zum gefeierten Pageturner wird, tendiert gegen null. Das heißt aber noch nicht, dass du keinen Plattdeutsch-Roman verfassen solltest, denn vielleicht ist ja gerade das deine Zielgruppe? Du kennst die Mentalität der Leute, bedienst genau ihren Humor, ihren Geschmack und lieferst ihnen Kost, ganz speziell für sie gemacht. Vielleicht findet sich ja einmal ein Übersetzer ins Standarddeutsche, aber darum geht es dir gar nicht. Dir deine Zielgruppe auf diese Art zu wählen, kann nämlich auch ein geniales Marketinginstrument sein. In diesem Fall trennt die Muttersprache nicht nur, sie segmentiert den Markt.

2. Sprache schafft Identität, aber …

Du wirst feststellen, dass ich immer wieder österreichische Ausdrücke in meinen Blogbeiträgen verwende. Das tue ich nicht, weil ich nicht wüsste, welche Worte ein Bundesdeutscher für dieselbe Sache wählt, sondern weil ich stolz darauf bin, Wienerin zu sein.

Trotzdem vergiss mir deine Leser nicht! Notgedrungen und zerknirscht schreibe auch ich in meine Romane Stühle statt Sessel, meine Figuren hängen ihre Kleider in den Schrank und nicht in den Kasten, weil der Durchschnittsdeutsche unseren österreichischen Kasten vermutlich eher mit seiner Bierkiste assoziiert. Verbiege dich nicht da, wo es unnötig wäre, aber sorge auch für Klarheit. Wenn du den gesamten deutschen Sprachraum als Publikum anpeilst, dann musst du darauf achten, auch von Zürich bis Sachsen verstanden zu werden.

3. Sprache ist für Selbstzweck zu schade

Die Figuren haben andere Freiheiten als der Erzähler. Wenn du eine bestimmte Sprache für die Erzählerstimme wählst, entscheidest du dich vor allem dafür, an welche Leser du dich wendest. Wenn du eine Figur reden lässt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, gestaltest du den Charakter dieser Figur. Du sagst etwas über den Schauplatz und das Zusammenspiel mit den anderen Figuren aus, und im besten Fall beeinflusst die Sprache sogar die Handlung. Und schon wieder taucht die Frage aller Fragen auf: Warum? Warum soll die Figur überhaupt anders als andere reden? Nicht nur in einem deutschen Dialekt, sondern vielleicht überhaupt auf Englisch, Italienisch, Französisch oder Klingonisch? Wenn du diese Frage nicht glasklar beantworten kannst, lass den Dialekt oder die Fremdsprache bitte bleiben.

4. Die Sprache gehört zur Figur wie ihre Augenfarbe

Zunächst solltest du einmal wissen, mit welcher Sprache die Figur aufwuchs. Kann sie überhaupt Dialekt oder würde das in etwa so klingen, wie wenn ich versuchte, Alemannisch zu sprechen? (Nur so unter uns, ich kann nicht einmal tiefstes Wienerisch. 😉 ) Von wem wurde sie erzogen? In historischen Romanen solltest du das unbedingt klären. Ammen werden Dialekt sprechen, Gouvernanten Französisch, Hofmeister Bildungsdeutsch. Mönche und Priester haben ihren eigenen Sermon. Du siehst schon, es reicht nicht zu wissen, ob deine Figur Hamburger ist, du brauchst auch Infos über ihr soziales Umfeld in der Kindheit.

5. Die Sprache sagt etwas über die Absichten einer Figur aus

Sprache ist veränderbar, genauso wie man farbige Kontaktlinsen tragen kann, kann man auch an seiner Sprache feilen. Ob eine Figur nun ihre Muttersprache pflegt oder versucht, sie abzulegen oder zu verschleiern, sagt etwas über die Figur aus. Wie steht sie selbst zu ihrer Sprache? Benutzt sie sie oder ist sie ihr peinlich? Ein Spion wird damit spielen und sie für seine Zwecke einsetzen. Ein Snob reibt dir mit seiner Sprache gleichzeitig seine Bildung und den Besuch eines Eliteinternats unter die Nase. Ein glühender Vertreter der Arbeiterbewegung lernt Dialekt, selbst oder gerade wenn er aus gutem Haus stammt, weil der Slang für ihn ein politisches Statement ist.

6. Sprache schafft Atmosphäre

Ein Regionalkrimi lebt vom Lokalkolorit, und das lässt sich herrlich durch Dialekte schaffen. Auch in anderen Genres kannst du über die Sprache den Schauplatz und die Situation plastisch vermitteln. Im Fußballstadion herrscht ein anderer Jargon als auf der Uni oder in der Rechtsanwaltskanzlei. Fühlt sich die Figur in dieser sprachlichen Umgebung wohl, ist sie ein Teil davon, fügt sie sich ein oder steht sie ziemlich ratlos und fehl am Platz da? Wenn es passt, schaffe mit der Sprache eine Klangkulisse. Auf dem Markusplatz in Venedig wird man nicht nur Italienisch hören, wirf hie und da fremdsprachige Wortfetzen ein.

7. Sprache verstärkt Fremdes

Warum wurde für die Klingonen eine eigene Sprache erfunden? Warum liebäugelst du als Fantasy-Autor mit Gälisch? Weil eine Sprache, die wir nicht kennen, dem Leser sofort signalisiert: Diese Figur ist anders als die anderen. Sie kommt aus einem anderen Kulturkreis und wirkt allein daher exotisch. Ich verwende Fremdsprachen gerne, um anzudeuten, dass eine Figur nicht ganz hierher oder dazu gehört. Wenn du eine lebende Sprache einsetzt, reichen dafür ein paar eingestreute, typische Wörter, vor allem wenn die Sprache einigermaßen bekannt ist.

8. Sprache zeigt Gruppengefühl an

Deine Figuren können auch Untergruppen bilden. Im Eissalon sprechen die Kellner untereinander Italienisch, wie sieht das nun aus, wenn »la bella bionda« hereinkommt? Quatschen sie weiterhin in ihrer Muttersprache und bauen auf das damit verbundene Papagallo-Image? Das können sie ebenso auf Deutsch mit dem melodisch-charmanten Akzent erreichen. Oder signalisieren sie »Wir bedienen dich zwar, aber zu uns gehörst du noch lange nicht«? Bringt die Kundin ihr Italienisch aus dem VHS-Kurs an, um zu zeigen »Ich mag euer Land, Jungs?« Spannend wird Sprache vor allem da, wo unterschiedliche Sprachen aufeinanderstoßen.

9. Sprache signalisiert, wie gebildet du bist

Und deshalb vergiss diesen Punkt bitte gleich wieder oder setze ihn nur mit ganz viel Fingerspitzengefühl ein. Dein Leser will nämlich nicht wissen, wie klug du bist, sondern er will in eine spannende Story abtauchen. Falls du Sprache nur zur Selbstdarstellung missbrauchst, dann geht der Schuss garantiert nach hinten los. Wenn du jedoch einen guten Grund dafür weißt, warum deine Figur auf Englisch oder Russisch parliert, dann nur zu. Dieser Grund ist aber in der Handlung und im Charakter begründet. Im Charakter der Figur, nicht in deinem. 😉

10. Wie du mit Sprache die Handlung vorantreibst

Dieser Punkt ist eng mit Punkt 5 verknüpft. Wenn eine Figur in einer fremden Sprache spricht, führt sie etwas im Schilde, vor allem dann, wenn niemand oder nur wenige sie verstehen. Möglicherweise hält sie auf diese Weise Informationen vor den anderen Figuren zurück. Dann entsteht durch den fremdsprachigen Satz Spannung, weil er Neugier auslöst. Oder die Figur ist isoliert, weil sie selbst nicht die Sprache der anderen spricht. Ergreife die Gelegenheit und lass den Leser die damit verbundenen Gefühle selbst erleben. Den Satz selbst nicht zu verstehen, bringt ihn flugs in dieselbe Situation wie die Figur. Diesen Effekt killst du mit einer Übersetzung.

11. Wenn du eine Sprache Wort für Wort übersetzen musst

Wenn du Fremdsprachen für deine eigene Selbstdarstellung verwendest, hast du ohne Übersetzung natürlich ein Problem, denn woher sollen deine Leser nun wissen, wie raffiniert du die Info rüberbringst? 😉 Aber wenn du die Fremdsprache schlau einsetzt, dann wirst du auch wissen, wie die anderen Figuren darauf reagieren. Informationen, die der Leser verstehen muss, wirst du wohl übersetzen müssen. Aber bitte nicht in einer Fußnote (die Dinger hasse und ignoriere ich, weil sie mich aus dem Lesefluss reißen). Die Trennung durch einen Gedankenstrich und die Wiederholung des Satzes auf Deutsch wäre möglich, ist aber auch nicht viel besser, da ebenso ein Illusionsbruch. Entweder du erklärst die Phrase durch den Dialog selbst (eine Figur könnte nachfragen), oder du schreibst sie gleich auf Deutsch. Denn wenn der Inhalt die wichtigere Information ist als die Sprache, brauchst du die Fremdsprache an dieser Stelle gar nicht.

12. Alternativen zur Fremdsprache

Wenn der Sprachgebrauch jedoch genauso wichtig ist wie der Inhalt der Rede, musst du dir Alternativen suchen. Dann wirst du nicht eine komplette Rede in der Fremdsprache schreiben, auch nicht deine Leser mit Fremdsprachenfetzen in jeder fünften Dialogzeile strapazieren. Dann wirst du dich auf die Eigenheiten der anderen Sprache konzentrieren. Wie werden Sätze in ihr gebaut? Kannst du die typische Satzstruktur und Satzmelodie ins Deutsche übertragen? Versuche, diese sprachlichen Eigenheiten abzubilden, gerade wenn sie auf Deutsch nicht geläufig sind. So passt zum Beispiel das verstärkend vorangestellte Substantiv, dem ein Relativsatz mit der eigentlichen Aussage folgt, eher zu einem Italiener als zu einem Deutschen: Der Kavalier, der überreicht ihr eine Rose. Indem du auf Phrasen und Idiomatik achtest, kannst du dein Wissen auf unaufdringliche und gewinnbringende Weise einsetzen.

13. Sprache ist mehr als die Summe von Wörtern und Grammatik

Gerade wenn du Sprachen erfindest, achte auf den Klang. Soll die Sprache hart sein oder melodisch, schmeichelt sie dem Ohr oder zieht es dir alle Eingeweide zusammen, wenn du sie hörst? Achte auf den Unterschied zwischen kehligen Lauten, aggressivem Gekrächze, rhythmischem Singsang, mystischem Chanten. Du könntest dir eine reale Sprache zum Vorbild nehmen und daraus die wichtigsten Merkmale ableiten. Hör mal gut hin, womit du bestimmte Sprachen vom Klang her assoziierst, wenn du sie nicht verstehst. Beginne mit Einfachem wie Latein, Slawisch, Chinesisch, Japanisch, Italienisch, Französisch, Gälisch, Türkisch, Arabisch. Wenn du jetzt noch nicht fündig bist, versuche es mit für uns exotischeren Sprachen wie afrikanischen oder indianischen Dialekten.

14. Eine Sprache darf nicht die Lesbarkeit stören

An oberster Stelle bei einem Pageturner steht immer der Lesefluss. Wenn du ihn unterbrichst, wirfst du deine Leser aus ihrer Illusion, sie wechseln vom Gefühl in den Kopf, und alles, was du an Atmosphäre und Emotion aufgebaut hast, ist dahin. Übertreibe es daher nicht mit der Menge und bilde die Sprache auf eine leicht auszusprechende Art ab. Du schreibst einen Roman, keine sprachwissenschaftliche Abhandlung, und kannst dir daher die eine oder andere Freiheit erlauben. Selbst wenn du sonst nicht mit Lektoren arbeitest, lass zumindest über Dialektpassagen einen erfahrenen Lektor drüberlesen und die Phonetisierung von ihm prüfen.

 

Jetzt bist du dran! Kommen in deinem Roman Dialekte und Fremdsprachen vor? Wie setzt du sie ein und was willst du damit erreichen?

Viel Spaß beim Schreiben!

Deine Barbara

 

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