Träume sind Schäume? Nicht, wenn es um Träume in deinem Roman geht. Sie schlagen die Brücke zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten und holen so manches uneingestandene Problem an die Oberfläche. Mit 11 einfachen Strategien verschwendest du deine Träume nicht als Zeitraffer oder Dekoration, sondern holst das Beste aus ihnen heraus.

1. Binde deinen Traum in die Handlung ein

Wir träumen nicht einfach, weil uns nichts Besseres einfällt, sondern wir träumen, weil uns etwas keine Ruhe lässt. Im Roman ist das nicht anders, daher solltest du die Träume deiner Figuren gut motivieren. Ein Traum ist kein dekoratives Element, sondern ein Traum ergibt sich aus der Handlung. Aus dem, was deiner Figur zugestoßen ist, und aus den Problemen, die sie deshalb wälzt. Die erste Frage, die du dir daher stellen solltest, ist die nach dem Setting:

  • Wer träumt?
  • Welches Ereignis hat den Traum ausgelöst?
  • Wann träumt die Figur?
  • Warum träumt sie gerade jetzt?

Daraus ergibt sich, an welche Stelle in der Szenenfolge der Traum gehört. Verschiebe ihn notfalls so lange, bis der Zeitpunkt für dich plausibel ist. Träume eignen sich übrigens hervorragend für Schlüsselstellen.

2. Leserorientierung geht vor Realismus

Im realen Leben geht es manchmal ganz schnell. Du siehst dir vor dem Einschlafen einen Horrorfilm an und träumst schlecht. Wenn ich den ganzen Tag sehr strukturiert denke, dann tauchen in meinen Träumen ebenfalls lauter Strukturen auf. Es kann aber auch andersherum gehen. Manchmal brauchen wir eine Weile, bis wir Sorgen oder Wünsche in Träume transformieren.

An diesem Punkt solltest du dir die Realität ein bisschen zurechtbiegen. Dein Leser muss den Zusammenhang zwischen auslösendem Ereignis und Traum erkennen, das kann er aber nur, wenn du beides nahe aneinander holst. Du kannst entweder ein einprägsames Ereignis vor den Traum stellen, oder du schaukelst einen Konflikt so lange und stetig hoch, bis er in einen Traum gipfelt.

3. Der perfekte Einstieg

Spar dir die Inquit-Formel, die ist beim Traum noch hölzerner als beim Dialog. Ein faszinierender Traum – und alles andere wäre platt und verschwendet – ist eine starke Szene, die weder Konkurrenz verträgt noch durch Einleitungsgeplänkel abgeschwächt werden will.

Wenn du schläfst, weißt du auch nicht, wann du zu träumen beginnst, sondern du begreifst es erst rückwirkend, nach dem Aufwachen. Verschaffe deinem Leser dasselbe Erlebnis. Wir gehen ja davon aus, dass er sich mit deiner Figur identifiziert, beim Lesen also die Figur ist. Mit einem Traum, der plötzlich anfängt, erzeugst du maximale Illusion.

4. Träume haben eine besondere Sprache

Aber wenn ich in media res anfange, dann hebt sich der Traum doch nicht vom Rest ab, wendest du vielleicht ein. Doch. Weil im Traum nämlich der Verstand Sendepause hat. Wir träumen nicht in logischen Zusammenhängen, sondern in bild- oder symbolhaften Assoziationen, die du sprachlich abbilden kannst. Verwische die Bilder, überblende sie, löse eines im anderen auf.

Manchmal beginne ich mit einem inneren Monolog, in dem die Figur wegdriftet, ohne es zu merken, sie schläft also während des Denkens ein. Dann lösen Bilder und Empfindungen die Gedanken ab.

5. Träume sind gegenwärtig

Das mit der Illusion funktioniert besonders gut, wenn du in der Gegenwart schreibst. Lass deinen Leser die Traumwelt selbst durchwandern. Der Traum ist wie ein Rausch oder wie das Schweben von Bild zu Bild. Gleite im Präsens durch den Traum, dann wirkt er unmittelbar.

6. Suche Bilder und sinnliche Ausdrücke für Gefühle

Vorhin habe ich dir gesagt, dass ich manche Träume mit inneren Monologen beginne. Im Grunde genommen ist ein Traum auch nichts anderes, nur, dass der innere Monolog in diesem Fall nicht vom Bewusstsein, also von der Vernunft gesteuert wird. Erinnere dich an deine letzten Träume, wie war das? Hast du Bilder gesehen? Geräusche gehört? Vermutlich träumt jeder ein bisschen anders, in meinen Träumen spielen Bilder und taktile Wahrnehmungen eine große Rolle. Und natürlich Gefühle.

Nur: Abstrakte Wörter benennen Gefühle, aber sie lassen sie nicht erleben. Nimm Angst. Oder Stolz. Oder Freude. Oder Trauer. Wenn du im Leser ein bestimmtes Gefühl hervorrufen willst, befiehl ihm nicht, es zu fühlen, sondern versetze ihn in die Lage, dass er es tut.

7. Verwende Symbole

Ich raffe mal den Vorhang ein wenig zur Seite und lasse dich kurz in meine Werkstatt blicken. Was ich dir jetzt zeige, ist ein Text aus  Der Schwur der Schlange. Ziel ist es, dass der Marchese anlässlich eines Auftrags Bedrohung empfindet, die dazugehörige Traumsequenz liest sich so:

Giftschlangen glitten über gekachelte Böden, schlängelten sich an siebenarmigen Leuchtern hoch und fädelten sich zwischen den Kerzen durch. Umwickelten mit ihren Leibern eine Thora-Rolle und schlüpften unter einen hebräischen Gebetsschal. Krochen weiter, erkundeten einen Dreispitz, umwanden einen Degen, ringelten sich an der Klinge hoch und flochten sich um das Stichblatt. Zogen ihre Körper über einen Saphirring, glitten weiter um das Wasserglas herum, züngelten über das Kopfkissen und schossen schlängelnd auf ihn zu. Er griff nach dem Degen, mitten hinein in die giftige Brut, die Zähne schlugen sich in seine Hand, das Gift strömte in seinen Arm. Eine Viper legte sich um seinen Hals, ihre Zunge zitterte über seine Halsschlagader, er verwandelte sich in eine Kobra, bäumte sich auf, aber das Gift lähmte bereits seinen Körper. Elf Schlangen flochten ihre Leiber um ihn, elf Giftmäuler aufgerissen, elf Paar spitze Zähne bissen noch einmal zu, und die Kobra sank zusammen. Jemand hämmerte auf ihn ein und er fuhr hoch.

Es gäbe keine Traumdeutungsindustrie und vermutlich auch keine Psychoanalyse, wenn wir immer unverschlüsselt träumten. Einerseits wird dein Traum glaubwürdiger, wenn du ihn codierst, andererseits liefert dir die Codierung automatisch Bilder. Damit dein Leser sie ohne Fachliteratur versteht, sollten die Symbole aber auf der Hand liegen. Im obigen Beispiel ergeben sich die jüdischen Kultgegenstände aus dem Auftrag, der den Marchese ins jüdische Milieu führt. Dreispitz, Degen und Saphirring sind seine Attribute, die bringt ein Leser der Reihe zwangsläufig mit ihm in Verbindung, und die Schlangen stehen für den Orden.

8. Träume können irrational bis absurd sein

Im Traum ist alles möglich und gerade das Wahrscheinlichste unwahrscheinlich. Vieles ist übertrieben und sprengt die Gesetze von Logik und Physik. In deinen Traumsequenzen bist du ausnahmsweise von der Plausibilität entbunden, hier darfst du dich austoben. In einer »wachen« Szene müsste ich mir sehr gut überlegen, ob ich sämtliche Gegenstände so handlich platzieren kann. Ich müsste mich fragen, ob Giftschlangen sich um Hälse winden und ob sie ohne Provokation zubeißen. Das wird in einer Traumsequenz niemanden stören. Im Traum zählt nicht die Logik, sondern das Gefühl oder der innere Konflikt, die verschlüsselt werden.

9. Dein Pinsel für innere Konflikte

Durch Bildhaftigkeit und Symbole gibt dir ein Traum das ideale Werkzeug in die Hand, um innere Konflikte zu zeigen. Show, don’t tell, ich kann gar nicht oft genug darauf herumreiten. Im Wachzustand brüten deine Figuren über ihren Gedanken und laufen Gefahr, in die Abstraktion abzurutschen. Im Traum malst du Bilder, deine Leser durchleben den Konflikt und die Szene bleibt hängen.

10. Träume schaffen Spannung

Nicht nur durch Bilder, sondern auch durch Rätsel. Gut erdachte Träume unterbrechen die Handlung auf eine Art und Weise, die Lesern keine Ruhe lässt. Sie wittern eine Fährte dahinter, deshalb lass den Held und mit ihm den Leser mit großen Fragezeichen in den Augen aufwachen. Was sollte das eben? War das eine Warnung? Eine Vorausdeutung oder Prophezeiung? Habe ich etwas Wichtiges nicht bedacht? Nicht umsonst stürzen sich Autoren immer wieder auf Orakel-Träume. Und nicht umsonst sind Orakel zumindest zweideutig.

11. Erkläre Träume nicht

Und bitte erschlage nach dem Traum deinen Leser nicht mit einer Traumanalyse! Traue deinen Lesern etwas zu, sie werden den Subtext, also die Botschaft hinter dem Traum, schon erkennen oder zumindest erspüren. Und vertraue vor allem deinem Text! Erklärungen zerstören die Spannung, und genau das gilt es doch zu vermeiden. Lass den Traum wirken statt ihn zu zerreden.

 

Dass Träume zu den Figuren passen müssen, die sie träumen, dürfte dir längst klar sein. Ein Spion wird anders träumen als ein Bürohengst, die Vorstandschefin anders als die Friseurin. Nimm dir doch einmal eine Stelle her, in der sie endlos lange nachdenken und mit Begriffen nur so um sich schleudern. Und dann versuche, diese Gedanken in einen Traum umzuwandeln. Wovon träumen deine Figuren?

Viel Spaß beim Träumen und Schreiben!

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