»Wie kann ich ein paar Tage/Wochen/Monate zusammenfassen beziehungsweise überspringen?« Kerstins Frage trudelte in meiner Mailbox ein, und meine erste Reaktion war: Uff, was soll ich ihr da bloß antworten? Einen Zeitsprung elegant hinzubekommen, zeigt tatsächlich den Könner in dir. Damit deine Leser nicht über hölzerne Überleitungen stolpern, habe ich einige Möglichkeiten für dich zusammengetragen, die Zeit kreativ zu überbrücken.

Schließe zunächst Fehler im Plot aus

Warum willst du überhaupt einen Zeitsprung machen? Wenn du so tickst wie ich, schreibst du gerne kurze, intensive Szenen, und wenn die Szene fertig ist, fällst du in ein Loch, das du irgendwie überbrücken musst. Hier hat die Zeit kaum Funktion, Szenen drängen sich dicht aneinander, dein Roman ist sehr kompakt und das Erzähltempo ziemlich hoch. Kämpfst du hier mit einem großen Zeitsprung, dann sieh dir einmal ganz genau an, ob nicht vielleicht ein Spannungsbogen zu Ende erzählt ist und du möglicherweise gerade versuchst, zwei Geschichten in einem Roman zu erzählen.

Über so etwas darfst du nicht achtlos drübergehen, denn oft zeigt sich in diesem scheinbar unmotivierten Zeitsprung eine noch viel unmotiviertere Handlung, und das merkt dein Leser. Die Frage ist also nicht, wie du die Zeit überbrücken sollst, sondern warum die Lücke überhaupt klafft. Willst du keine der beiden Handlungen opfern, kannst du sie zum Beispiel durch einen übergeordneten Spannungsbogen verbinden.

Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Du hast den Plot überprüft und weißt nun, dass und vor allem warum tatsächlich Zeit vergehen muss. Jetzt klärst du, was daran wichtig ist. Zwei Freunde haben beispielsweise gestritten und werden sich erst am nächsten Abend sehen, um den Streit zu bereinigen. Oder es kommt an diesem zweiten Abend zum endgültigen Bruch. Interessiert deine Leser wirklich, wie der eine der beiden, sagen wir ein Arzt, seinen Tag verbringt? Was er zum Frühstück isst, ob er zu Mittag Pizza oder Schweinsbraten vertilgt und welche Patienten ihn mit welchen Wehwehchen nerven?

Wenn du damit jedoch die Gemütsverfassung des Arztes zeigen willst, dann beherzige auch das oberste Gebot: Zeige es! Dann spielt die Zeit nämlich eine wichtige Rolle. Das Ticken der Uhr, die quälend langsam (oder auch viel zu schnell) verstreichenden Minuten, die Strategien, die Herr Doktor zur Ablenkung einsetzt.

Wo du Zeit verwendest, um eine Entwicklung zu schildern, überlege dir, ob nicht gerade diese Entwicklung das Spannende ist. Und wenn ja, dann mache einen dicken, roten Strich quer über deine narrative Zusammenfassung und schreibe die Szenen aus. Möglicherweise hast du auch hier zwei Geschichten in einer, dann frage dich, wo dein Hauptinteresse liegt, ob du eine der Storys zum Subplot machen kannst oder deinen Roman besser aufteilen solltest.

Der Zeitsprung ist notwendig, was inzwischen passiert nicht

Für solche Überleitungen eignet sich der harte Schnitt. Die Technik kommt vom Film, eine Szene ist aus, und ohne Überleitung beginnt eine andere, an einem anderen Schauplatz und vielleicht sogar mit anderen Figuren. Oder eben zu einer anderen Tages- oder Jahreszeit. Damit du deinen Leser nicht zu sehr verwirrst, könntest du hier auch optische Trennungen setzen. Innerhalb eines Kapitels eine Leerzeile. Ein neues Kapitel. Oder du teilst deinen Roman in mehrere Teile auf, Großkapitel sozusagen.

Der Beginn des neuen Teils ist so ähnlich wie der Beginn eines Romans, du wirfst deinen Leser in die neue Szene hinein und weckst sofort seine Neugier. Du merkst schon, ich bin ein großer Fan von In-medias-res-Anfängen 😉

Woran merkt der Leser, dass Zeit vergangen ist?

Den schönsten und spannendsten In-medias-res-Einstieg versaust du dir aber mit Phrasen wie »Inzwischen waren sechs Monate vergangen.« Zumindest als erster Satz sind sie ungeeignet, denn bevor du überhaupt zu erzählen beginnst, drosselst du schon das Erzähltempo. Wenn du einen harten Schnitt machst, merkt dein Leser, dass jetzt etwas Neues kommt, und die Vergangenheit interessiert ihn vorläufig mal nicht. Er ist neugierig, genau das, was du für Spannung und Pageturner brauchst.

Zeitangaben gehören nicht in den ersten Satz, zu Szenenbeginn baust du das Setting und die Atmosphäre auf. Du versuchst besser, zwei Fliegen mit einer Klappe zu erwischen, und verbindest Setting mit Zeit.

Wie du Zeit indirekt darstellst

Genaugenommen verbindest du nicht Setting mit Zeit, sondern Setting mit Veränderung. Die Striche, die ein Gefangener an die Wand malt, sind nur ein Symbol für die Zeit, ebenso wie das Abreißen des Kalenderblattes. Übrigens zwei sehr einfache, wenn auch abgedroschene Varianten, einen Zeitsprung zu visualisieren. Mit Kalendern, Uhren oder Strichen an der Wand messen wir die Zeit, aber wenn du nicht gerade über einen Naturwissenschaftler schreibst, wird es wohl kaum ums Messen gehen. Spüre lieber Veränderungen auf.

Panta rhei

„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ Schon vor guten zweieinhalb Jahrtausenden stützte sich Heraklit auf die Natur, um Veränderung anschaulich zu machen. Für ihn war die Flusslehre eine Metapher für allen Wandel im Leben, du kannst dir dieselbe Metapher für deinen Roman nutzbar machen.

Achte einmal darauf, wie sich die Natur ändert, und ja, das geht auch in der Großstadt. Die Kastanien sind einmal grün, dann stehen die weißen Blüten wie Kerzen auf den Ästen, später spenden sie in der Gluthitze Schatten, und dann achtet Herr Müller darauf, seinen Porsche nicht unter ihnen zu parken, weil die stachligen Dinger richtige Geschosse sind. Während Fritzchen hinter den aufgeplatzten Igeln her ist wie ein Pfidschi-Pfeil. Zwei Monate später reißen Stürme die mittlerweile gelben Blätter von den Bäumen, jetzt parkt Herr Müller unter der Kastanie, ermahnt aber Frau Müller, sich auch ja die Sauerei von den Schuhsohlen zu streifen, bevor sie in den Wagen steigt. An Vegetation und Wetter lassen sich Veränderungen schön darstellen. Aber behaupte nicht nur, dass mittlerweile die bunten Blätter von den Bäumen segeln, sondern binde sie in die Handlung ein.

Der Speiseplan

Heute bekommen wir so gut wie alles, rund ums Jahr, es hängt nur davon ab, wie tief wir in den Geldbeutel greifen wollen und wie sehr wir auf Umweltschäden durch Ferntransporte pfeifen. Früher war das nicht so. Nicht unbedingt weil die Menschen besser waren, sondern weil die technischen Mittel zur Kühlung fehlten. Speziell wenn du historische Romane oder Fantasy schreibst, gehe die Sache mal kulinarisch an. Im Frühling servierst du Spargel und Weintrauben im Herbst. Und wenn du einen Krimi oder eine Liebesgeschichte in der heutigen Zeit spielen lässt, dann schmecken die Tomaten im Sommer eben wirklich, während du aus den faden Glaushaus-Dingern im Winter niemals einen schmackhaften Insalata Caprese zaubern kannst.

Brauchtum gliedert das Jahr

Lass doch deine Figuren Weihnachten, Ostern oder Erntedank feiern. Recherchiere, wann der erste Mai-Baum aufgestellt wurde. Vielleicht feiert man diese großen Feste in deinem Roman ganz anders, andere Länder, andere Sitten, andere Epochen sowieso. Aber große Feste hat jede Kultur im Jahreszyklus. Wenn nicht, dann erfinde eines. Übersiedelt der Hof schon von Paris nach Versailles, verbringen die Schwestern die Saison in London oder fahren sie bereits zurück aufs Land?

Kleidung und Mode

Wenn du Herrn Müller eine Pelzkappe mit Ohrenschonern aufsetzt, weiß der einfachste Leser, dass Winter ist, ein Panamastrohhut gehört hingegen in den Sommer. Kleide deine Figuren entsprechend, dann brauchst du keine Zeitangaben. Und wenn du noch längere Zeiträume überbrücken willst, dann kommt uns die Mode zu Hilfe. Modefarben, Rocklängen, mit oder ohne BH, Plateauschuhe und Keilhosen, schmale Krawatten, breite Krawatten, dicker Lidstrich, Smokey Eyes, … hier kannst du dich wirklich austoben. Für den historischen Roman recherchiere unbedingt Kleidung und Haartracht!

Was tun deine Figuren in der Freizeit?

Wenn wir schon bei der Mode sind: Wie sieht es mit der Unterhaltung und Freizeitgestaltung deiner Figuren aus? Welche Musik oder Filme sind gerade in? Hat Mozart schon die Zauberflöte geschrieben und fielen die Mädels bei Elvis-Konzerten in Ohnmacht? Welche Kunstwerke gab es bereits?

Spielt Herr Müller Tennis in der Halle oder blendet ihn die Sonne? Passen die Ski in den Porsche? Oder probiert es der alte Depp in seiner Midlifecrisis heuer mit Snowboarden?

Projekte, Projekte, Projekte

Projekte haben Veränderung in sich, und du kannst alles zum Projekt erklären. Die Forschungsarbeit von Frau Müller oder den Bau der Tiefgarage in der Nachbarschaft. Steht der Eiffelturm bereits und das World Trade Center noch? Ist die Cheops-Pyramide um Mannshöhe gewachsen oder das Lustschloss endlich fertig?

Wie haben sich deine Figuren verändert?

Herr Müllers Haaransatz liegt bereits in der Mitte der Schädeldecke, während Frau Müller nun eine Färbung braucht, weil die Tönung ihre grauen Haare nicht mehr abdeckt. Die Körper werden wabbelig, und die Haut verliert an Spannkraft, was das Paar merkt, wenn es einmal im Monat Sex hat. Sohnemann Müller hat endlich seinen Bachelor-Abschluss und büffelt jetzt für den Magister, und das Töchterchen ist mittlerweile stolz auf den schwarzen Gürtel in Karate. Andere Optik, verbesserte Fähigkeiten und andere Freunde, auch das ist Veränderung und Zeitablauf.

 

Ich bin überzeugt, dass auch dir jetzt sehr viele Möglichkeiten einfallen, die Zeit zu überbrücken. Schreib sie doch einfach in den Kommentar, ich bin neugierig! Der Schlüssel liegt darin, dir klar zu machen, was ein abstrakter Begriff wie Zeit wirklich bedeutet. Mit Veränderung kommst du da schon sehr weit.

Vor allem wünsche ich dir, dass sich die Länge deiner Datei in der kommenden Woche ordentlich verändert 😉

Viel Spaß beim Schreiben!

unterschrift

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