Eines haben Bestsellerautoren alle drauf, egal, in welchem Genre sie schreiben: Sie packen ihre Leser bei ihrem Gefühl. Leser fesselst du nun einmal durch Emotionen. Aber wie schreibt man Gefühle ohne Kitsch und Gefühlsduselei? Wie schreibt man sie überhaupt?

Show, don’t tell 😉

Ach komm, nicht schon wieder! Leider doch. Denn mit Behauptungen sorgst du für eine sehr eingeschränkte Palette an Gefühlen. Langeweile zum Beispiel. Ärger über die Bevormundung. Akute Müdigkeit und schwere Lider. Und ich traue mich wetten, das sind allesamt nicht die Emotionen, die dir gerade vorschweben. »Er hatte Angst« oder »sie war unsterblich verliebt« sorgen bei deinen Lesern nur für ein »Aha«. Zur Kenntnis genommen. Bitte weiter in der Handlung.

Achtung, hier spricht der Autor!

Klischees wie »Mirko rutschte das Herz in die Hose« machen es auch nicht besser, auch wenn mittlerweile jeder weiß, was ein Herz, das nicht mehr in der Brust, sondern in den unteren Regionen sitzt, bedeuten soll. Puristen werden die Nase über schiefe Sprachbilder rümpfen, Gewitzte werfen dir mangelnde Originalität vor, aber das Problem liegt ganz woanders.

Mit so einem Satz sagst du nämlich deinem Leser, was er zu denken hat. Du interpretierst deinen eigenen Text. Nur für den Fall, dass dein Leser unfähig ist und deine bisherigen Winke übersehen hat. Auch gut, nimmst du eben den Zaunpfahl oder gleich den Laternenmast oder drischst deinem unmöglichen Leser die Emotionen mit dem Holzhammer ins Bewusstsein. Wo kämen wir denn hin, wenn er diese ganz, ganz wichtige, weil uremotionale Stelle überliest? Der ganze Roman wäre kaputt, wenn er an dieser Schlüsselstelle nichts kapiert!

Du darfst deinem Leser schon was zutrauen

Der allwissende (auktoriale) Erzähler ist weitgehend out und das mit gutem Grund. Um uns zu unterhalten pfeifen wir auf obergescheite Erläuterungen und tauchen lieber selbst in die Figuren und die Geschichte ein. Das personale Erzählen kommt uns da sehr entgegen, weil es uns an den Gedanken des Helden beteiligt. Auch an denen des Schurken und wer sich sonst noch in so einem Roman tummelt.

Doch wenn Mirko das Herz in die Hose rutscht, magst du zwar in seiner Perspektive sein, aber noch lange nicht in seinen Gefühlen. Wann hattest du zuletzt Angst? Hast du dabei gedacht »ich habe Angst«, oder lief da ein anderes Programm ab? Denkst du wirklich, ich habe dieses oder jenes Gefühl? Also lass es auch nicht deine Figuren tun. Wenn du es richtig anstellst, wird der Leser das Gefühl spüren, lange bevor du es ihm erklärst.

Heimweg durch Manhattan

Die Sache mit Mirkos Angst könnte auch so aussehen:

»Trainierst du für die olympischen Spiele?«

Idiot. Hätte Steven nicht den Tussis das Taxi überlassen, müsste Mirko jetzt nicht im Dunkeln vom Times Square südwärts stiefeln. Er sah in regelmäßigen Abständen über die Schulter, aber kein gelbes Auto wollte auftauchen. Ums Verrecken nicht.

»Mirko! Renn nicht so! Ins Theater ziehe ich keine Jogging-Schuhe an!«

Scheiß auf deine Schuhe und scheiß auf den Broadway. New York hat eine irre Kriminalitätsrate, und ich will jetzt endlich ins Hotel. Wie viele Blöcke denn noch?!

Ein Obdachloser stierte ihn an, und Mirko legte einen Zahn zu. Endlich tauchten die koreanischen Straßentafeln auf, und er bog um die Ecke. Korea mitten in New York, aber Hauptsache, das Hotel war billig! Er biss die Zähne zusammen und wechselte die Straßenseite, um nicht an den drei Asiaten vorbei zu müssen.

Steht hier irgendwo, dass Mirko sich fürchtet? Es steht in fast jeder Zeile, und ich denke, du bekommst Mirkos Angst mit, ohne dass ich sie dir erkläre. Du fühlst sie.

Empathie und Beobachtung

Gefühle sind etwas ganz Intimes, es gibt zwar Menschen, die sie sehr offenherzig vor sich her tragen, aber es gibt mindestens ebenso viele, die sie fest unter Verschluss halten wollen. Intimes erlebst du nicht aus der Distanz, Intimes erfährst du durch Einfühlungsvermögen und durch Beobachtung. Das gilt erst recht, wenn du ein Autor bist.

Versetze dich in die Situation deiner Figur. Du solltest sie so gut kennen, dass du weißt, welche Gedanken ihr durch den Kopf schießen und was sie tut. Oben äußert sich Mirkos Furcht in seinen Gedanken und darin, dass er hetzt und jeden Unbekannten argwöhnisch beäugt.

Handlung und Dialog

Manchmal ist es besser, wenn du aus der Perspektive einer anderen Figur schreibst, denn dann bist du gezwungen, dich konkret auszudrücken. Hat Steven Angst? Nein. Aber ihm tun die Füße weh, weil er Theaterschuhe anhat. Er spielt den Gentleman und verzichtet aufs Taxi, Mirkos Bammel versteht er nicht.

Handlung und Dialog sind Gedanken oder Erzählerkommentaren überlegen, weil sie Leser in eine Szene hinein ziehen. Wenn du Schwierigkeiten hast, die Gefühle deiner Figur in Handlung oder Dialog auszudrücken, dann wechsle für den ersten Entwurf die Perspektive. Überlege dir, was eine dritte Person beobachten oder hören könnte, und dann erst schreib die Fassung in der personalen Erzählhaltung.

Manche Beobachtungen sind ziemlich abgedroschen

Du erkennst das daran, dass du Synonyme suchst, um die Wortwiederholung zu vermeiden. Weißt du was? Vermeide nicht nur die Wortwiederholung, sondern vermeide gleich die Wiederholung der ganzen Ausdrucksform. Ja, auch ich lasse meine Figuren lachen, strahlen, zwinkern, hüsteln, schlucken, zittern und so weiter. Ich denke, jeder Autor muss da mal durch, schließlich ist keiner erfahren vom Himmel gefallen. Aber ich reiße mich gerade sehr am Riemen und suche nach Alternativen.

Bevor du deinen Helden die hundertste Augenbraue heben lässt, versetze dich lieber selbst in die Situation und überlege dir, wie du dich verhalten würdest. Ich jedenfalls kann gar keine einzelne Braue heben, ich knirsche so gut wie nie mit den Zähnen und ich balle auch keine Fäuste.

Eine Träne stahl sich in ihr Auge

Womit ich zunehmend Probleme habe, sind Tränen. Versteh mich bitte nicht falsch, ich mag Männer, die weinen können, und auch ich habe nah am Wasser gebaut. Was willst du aber in deinem Roman mit Tränen erreichen? Heischst du für deine Figur um Mitleid? So funktioniert das nicht. Wir fühlen nicht mit anderen mit, weil sie uns ihre Gefühle ins Gesicht knallen, sondern weil wir diese Gefühle selbst empfinden.

Bevor du Tränen schreibst, überlege dir, was du ausdrücken willst. Schwäche, Erschütterung, Verzweiflung, Glück, … Einen Großteil davon kannst du auch anders und besser zeigen. Hinter Figurentränen versteckt sich leider allzuoft nur eine melodramatische Form der Behauptung, und als Leser weine ich höchst selten nur weil eine Figur weint. Wer dauernd heult, den bedauert man nämlich nicht mehr, der nervt nur.

Lass deinen Leser fühlen

Wenn jemand weinen soll, dann ist das dein Leser, und damit sind wir bei deinem eigentlichen Ziel. Wann verschlingen Leute deinen Roman? Wenn sie selbst fühlen. Anstatt deinen Lesern die Gefühle deiner Figuren vorzuführen, versetze sie in die Lage, Gefühle selbst zu empfinden. Der Schlüssel dazu ist Identifikation und szenisches Erzählen. Deshalb ist die sinnliche Wahrnehmung so wichtig.

Ich habe oben Mirkos und Stevens Heimweg nur sehr knapp gezeichnet, dir aber genügend Anhaltspunkte gegeben. Nacht in einer fremden Großstadt. Obdachlose. Unbekannte, die anders aussehen als man selbst. Straßentafeln, die man nicht lesen kann. Schriebe ich die Szene in einem Roman, würde ich dich auf diesen Fußmarsch mitnehmen, Geräusche hinzufügen, Gerüche. Ich würde dir zeigen, wie leer die Straße ist, um dann aus einem billigen Laden Musik plärren zu lassen. Ich würde mit keinem Wort behaupten, dass Mirko Angst hat, aber ich würde nach Kräften deine eigene Beklemmung schüren.

Denke nicht in Gefühlen, sondern fühle in Szenen

Laut Paul Ekman gibt es sechs Grundemotionen, die wir angeblich Menschen am Gesicht ablesen können: Freude, Überraschung, Wut, Ekel, Trauer und Angst. Es gibt sicher noch mehr Gefühle, wie Verachtung, Liebe, Scham, Schuld oder Hass. Alles abstrakte Wörter. Solange du dich fragst, was eine Figur fühlt, hängt die Gefahr etwas zu behaupten wie ein Damoklesschwert über dir. Frage dich lieber, wie es deiner Figur in der Szene geht. Spiele selbst mit, schlüpfe in deine Figur und wenn du das Gefühl nicht aushältst, wenn du dich windest und vor der Wucht deiner Gefühle erschrickst, dann mach weiter. Dann bist du nämlich auf dem richtigen Weg 😉

 

Viel Spaß beim Erforschen deiner Gefühle! Und natürlich beim Schreiben!

unterschrift

 

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