Hast du auch solche Szenen, in denen handlungsmäßig eigentlich nichts weitergeht, du deinem Leser aber einen intensiven Eindruck des Settings vermitteln willst? Bei meinen ersten Versuchen beschrieb ich solche Stellen zu Tode und schläferte meine Leser damit ein. Heute wechsle ich einfach den Sinneskanal und liefere den Ohren durch Klang und Geräusche Futter – und siehe da, schon ist dein Leser hellwach 😉

Der Gesang der Sirenen

Als Odysseus an der Steilküste zwischen Amalfi und Sorrent vorbeisegelte, verstopfte er seinen Gefährten die Ohren mit Wachs. Dafür hatte er einen ausgesprochen guten Grund, denn oben an den Klippen lauerten die Sirenen. Frauen, die die Schiffer nicht etwas durch ihre Schönheit ins Verderben zogen, sondern durch ihren Gesang. Und neugierig, wie Odysseus war, wollte er beides haben: Den Gesang hören und trotzdem überleben.

Eintauchen mit allen Sinnen

Odysseus ließ sich also am Mast anbinden und lauschte. Er gebärdete sich wie ein Wilder, weil er unbedingt dem Gesang folgen wollte, doch seine vorübergehend tauben Männer ließen sowohl ihren tobenden Chef als auch die lockenden Frauen links liegen und führten das Schiff wohlbehalten an der Küste vorbei.

Genau das Gleiche kannst du mit deinem Leser machen. Du kannst ihm die Ohren verstopfen, oder du erlaubst ihm, Odysseus zu sein, und ziehst ihn mit allen Sinnen so tief in deinen Roman, dass er der Verführung nicht widerstehen kann. Und weiter liest und weiter und – nein, er zerschellt hoffentlich nicht an den Klippen, aber er verschlingt die Seiten, und du hast deinen Pageturner geschrieben.

Du brauchst nicht einmal Sirenengesang

Obwohl die Literatur voll von Beispielen über die Macht der Musik ist, kannst du dir die Latte viel tiefer legen und wirst damit trotzdem Erfolg haben. Das ist ungefähr so, wie wenn du ein Urlaubsvideo einmal mit und einmal ohne Ton abspielst, und ich rede jetzt nicht vom Dialog. Ich spreche vom Zirpen der Grillen, vom leise heranschwappenden Meer, vom klappernden Besteck oder von der Stille, die in einem Dom klingt, vom Hintergrundrauschen auf einer italienischen Piazza.

Ergänze das Bild um die Tonspur

Wenn du so wie die Mehrheit der Menschen ein visueller Typ bist, wirst du dazu neigen, in deinem Roman großartige, vielleicht auch detailreiche Bilder zu malen, aber damit stellst du deine Leser nur vor eine beeindruckende Leinwand. Das Leben spürt er jedoch in den Bewegungen und Berührungen und er hört es in den Hintergrundgeräuschen.

Ich habe doch eh den Dialog, wirst du jetzt vielleicht einwenden. Stimmt. Der Haken ist nur, dass der Dialog sich an den Verstand richtet und nicht an die Sinne. Und mit dem Verstand bewerten wir bekanntlich, Emotion entsteht anders.

Ok, das wird einigermaßen schwierig sein, aber es geht darum, vorübergehend den Sinn auszuschalten, auf den wir uns in der Regel am meisten stützen. Verbinde am besten auch gleich dir selbst die Augen, und das machst du am einfachsten, indem du deinen Figuren das Sehen verbietest.

Versuche Klang einmal ohne Dialog

Nehmen wir an, dein Held befindet sich auf einem Schiff. Auf einem Windjammer vielleicht, für ein malerisches Setting. Anstatt über die Weite des Ozeans zu blicken und dich von der weißen Gischt und dem Glitzern der Sonne in den Wellen ablenken zu lassen, lass deinen Helden mal die Augen schließen und achte darauf, was er hört.

Der Wind knattert in den Segeln, ein Tau schlägt gegen den Mast, bis eilige Schritte über das Deck wieseln und ein Matrose es festzurrt. Die Treppe zum Achterdeck knarrt, weil der Erste Offizier sie hinaufsteigt. Hoch über dir kreischen die Möwen, das tun sie schon, seit du an Bord gegangen bist.

Uuuuuuund Action!

Das Leben ist selten statisch, und wenn du mit Geräuschen Leben in deinen Roman bringen willst, achte auch auf die Dynamik. Das beginnt schon bei der Wortart. Schicken wir deinen Protagonisten zur Abwechslung auf die Titanic. Er hört das Stampfen der Maschinen und wenig später das Krachen des Rumpfes bei der Kollision mit dem Eisberg.

Und nun versuche dieselbe Szene mit einer aktiven Sprache. Den Nominalstil versenken wir dazu auf den Meeresgrund, dorthin, wo die Titanic in wenigen Stunden landen wird: Jetzt stampfen die Maschinen und der Dampf schnauft in den Kesseln. Pfeifend entweicht der Druck durch ein Ventil, da kracht der Rumpf und das Eis knirscht.

Lege dir eine Sammlung an geräuschvollen Verben an

Je charakteristischer deine Verben sind, desto besser kannst du sie maßgeschneidert für deine Erzählsituation einsetzen. Und so nebenbei umschiffst du durch eine einzigartige und bis ins Detail erfasste Geräuschkulisse Klischees. Im Grunde genommen sind auch die kreischenden Möwen nicht gerade klischeefrei, wie du die noch besser hinbekommst, zeige ich dir weiter unten.

Malen mit Lauten

Was für deine Bilder gilt, trifft ebenso auf deine Klänge zu. Behaupten kann jeder, deine Kunst liegt darin, den Leser die Geräusche selbst hören zu lassen. Das ist ein weiterer Vorteil, wenn du aussagekräftige Verben gezielt verwendest. Die hohe Schule beherrschst du mit Lautmalerei, wenn also dein Text selbst so klingt wie das Geräusch, das du erzeugen willst. Hör mal genau hin:

Der Wind weht durch die Gänge.
Der Wind pfeift durch die Ritzen.
Der Wind brüllt über der aufgewühlten See.

Sprich ab und zu Vokabel in Gedanken oder besser noch laut aus, damit du ihre Klangqualität erkennst. Mit dunklen Vokalen erzeugst du beispielsweise Kraft, unheimliche Szenarien, Bedrohung, während helle Vokale heiter und lieblich, manchmal aber auch zickig oder panisch wirken.

Rhythmisch stampfende Maschinen und galoppierende Pferde

Auch wenn du einen Roman schreibst, lohnt es sich, dich mit Metrik zu beschäftigen. In unserem Titanic-Beispiel kannst du das Geräusch der Maschinen wiedergeben, indem du eine Zeit lang ihren Takt übernimmst. Das funktioniert auch sehr gut bei schnellen Ritten oder Verfolgungsjagden.

Wenn Pathos in deinen Text passt, beispielsweise weil es dem Denken einer Figur entspricht, dann erlaube dir stellenweise freie Rhythmen. Wenn nicht, dann passe zumindest die Satzlänge an deine Handlung oder die Klangumgebung an. Ob du kurze Sätze stakkatoartig aufeinander folgen lässt oder dieselben Sätze durch Kommata verbindest, macht einen gewaltigen Unterschied. Das Komma zieht den Leser in den nächsten Satzteil hinein und trägt ihn über die Pause hinweg, während ihn der Punkt mit seiner Strenge und dem Absenken der Stimme zur Pause anhält. Und damit zu abgehackten Gedanken.

Wie schreibst du Stille?

Solange die Titanic noch unbeschadet durch die Eiswüste gleitet, wirst du die Zeit vielleicht anhalten. Wie machst du Stille hörbar? Einerseits durch Kontrast, indem du sämtliche Geräusche unterdrückst. Das funktioniert aber nur dann, wenn du vorher eine lebendige Geräuschkulisse aufgebaut hast und jetzt den gegenteiligen Effekt nicht durch schnelle Bilder oder Handlungen torpedierst.

Du kannst auch Geräusche von ganz weit her kommen lassen. Ab und zu bricht eine Eisplatte ab und rauscht ins Meer. Es kommt dir vor, als ob du die Wale singen hörst, und erst beim dritten Hinhören bemerkst du die Fidel. Ganz dünn weht ihr Lied vom Unterdeck herauf. Die Schritte der Deckwache über dir klingen hohl, du bist allein unter Milliarden von Sternen, umgeben von ehrfurchtgebietenden Gebirgen aus Eis, auf einem schlafenden Koloss aus Dampf und Metall.

Menschen reagieren auf Geräusche

Du kannst die Klangumgebung auch indirekt zeigen, indem du deine Figuren auf sie reagieren lässt. Wenn die Maschinen laut sind, muss die Schiffsbesatzung gegen sie anbrüllen, um sich zu verständigen. Der diskutierende Mann wird seine Frau von ihnen ein Stück fortziehen und einen anderen Platz suchen, wo sie seinen Weisheiten besser folgen kann und diesmal keine Ausrede hat, ihn nicht verstanden zu haben.

Durch Reaktionen fängst du auch Klischees ab. Erinnerst du dich an die Möwen, die oben den Windjammer begleiten? Wütend sieht dein Held in den Himmel und könnte jede einzeln erschießen, so sehr gehen sie ihm mittlerweile auf die Nerven. Können sie nicht einmal die Klappe halten? Mistviecher, die!

 

Wenn du deine Geräuschkulisse einmal kennst und ausgearbeitet hast, füge Bild und Ton zusammen, so wie ich oben bei der nächtlichen Fahrt der Titanic. Mal wirst du das Bild stärker betonen, mal den Ton ausführlicher malen, beides wirkt im Zusammenspiel. Wie beim Urlaubsvideo. Oder wie im Kino.

Und jetzt leg los, zieh uns hinein in deine Szenen, mit allen Sinnen! Viel Spaß beim Schreiben!

unterschrift

 

Bild: © roxaria – Fotolia.com