Zitate sind ja oft sehr griffig, und besonders griffig sind sie, wenn man sie aus dem Zusammenhang reißt. Und so wurde zur Hetzjagd gegen eine ganze Wortgruppe geblasen, nur weil Lektoren oder Kritiker Mark Twains Brief an einen Fan verkürzten und in verstümmelter Form zur Untermauerung ihrer These missbrauchten. Ist Mark Twain schuld, dass das Adjektiv zur verpönten Wortart wurde? Letzte Woche ging es darum, wann du Adjektive einsetzen oder lieber auf sie verzichten solltest, diesmal sehen wir uns das Wie an.

Twains Morddrohung gegen das Adjektiv

Zur Erinnerung: Mark Twain sprach in einem Brief an D. W. Bowser eine veritable Morddrohung aus. „Wenn Sie ein Adjektiv sehen, bringen Sie es um.“ Er selbst relativiert diese Aussage allerdings schon in den nächsten Zeilen. Zitiert nach Mark Twain Project:

When you catch an adjective, kill it. No, I don’t mean that, utterly, but kill the most of them then the rest will [be] valuable. They weaken when they are close together, they give strength when they are wide apart. An adjective-habit, or a wordy, diffuse, or flowery habit, once fastened upon a person, is as hard to get rid of as any other vice.
(Mark Twain an D. W. Bowser, 20. März 1880)

Als ich letzte Woche das Adjektiv rehabilitierte, versprach ich dir, mich auch noch um den zweiten Teil des Zitats zu kümmern.

Weniger ist meist mehr

Als ich das erste Mal in New York war, hielt ich es nachts auf dem Times Square kaum aus, weil die Sinneseindrücke zu stark waren, es war mir einfach zu bunt. Im doppelten Wortsinn. Wenn du auf einen Jahrmarkt gehst und überall blinkt oder flimmert etwas, gerätst du in einen einzigen Strudel. Genauso ist es mit einem Text, der von Adjektiven wimmelt. Er wirkt wie eine grelle Kulisse.

Wenn du zum Beispiel eine Landschaft zu detailreich schilderst, bekomme ich gar nichts mehr mit. Der fünfte Grashalm von links ist mir zu viel und ich blende ihn aus, egal ob er apfel- oder schilfgrün ist, ob saftig oder vertrocknet. Vor allem wenn du mir noch glitzerndes Wasser daneben stellst, das die Kiesel im Bachbett rund schleift. Zumal ich in der vorigen Szene unter einem blitzblauen Postkarten-Himmel hierher spaziert bin, vereinzelt weiße, bauschige Wölkchen wie Wattebällchen die unendliche Weite auflockern, und in der idyllischen Landschaft das schäbige Holzhaus heimelig wirkt.

Interessant wird es erst durch den Kontrast

Wenn dasselbe Holzhaus jedoch in einem ansonsten an Adjektiven armen Text steht, sieht die Sache schon anders aus. Dann könnte ich nämlich soeben an einem sogenannten Locus amoenus gelandet sein, an einem lieblichen Ort, den du mir mit Absicht idyllisch beschreibst. Interessant ist immer, was sich vom übrigen Wortfluss abhebt. Sorgen die Adjektive für einen akustischen Einheitsbrei, ignoriere ich sie beim Lesen. Taucht hingegen eines plötzlich und unvorhergesehen auf, spitze ich die Ohren.

Warum sich Mark Twain irrt

Du weißt, ich bin ein Rhetorik-Fan, denn wenn du Rhetorik gekonnt einsetzt, kannst du auch in einem modernen Text allein mit der Sprache gewaltige Effekte erzielen. Ich bewies ich dir das bereits anhand der Steigerung oder Klimax, jetzt zeige ich dir noch ein paar andere Stilmittel.

1. Die Geminatio (Verdopplung)

Wenn identische Adjektive eng beisammen stehen, können sie einen Satz oder Eindruck sogar noch intensivieren. Mit einem einzelnen, saftigen, apfelgrünen Grashalm inmitten einer grünen Wiese funktioniert das nicht. Ganz anders ist es aber, wenn dein Held wochenlang durch eine Geröllhalde marschiert. Der Wüstenstaub trocknet seine Kehle aus, die bleigraue Sonne brennt auf seiner Haut und er schleppt sich durch eine immer gleichförmige Landschaft. Grau, grau und immer noch grau. Graue, spitze Steine. Graue Schluchten und graue Luft. Selbst die Eidechsen sind grau.

Was siehst du? Ich hoffe doch Grau. Und ich hoffe, dass du Monotonie fühlst. Die Verdopplung lenkt dein Augenmerk auf das, was wiederholt wird, und ich stütze den visuellen Eindruck durch rhythmische und klangliche Monotonie. Das funktioniert übrigens auch mit anderen Adjektiven. Versuche es mal mit wild. Oder heiter. Oder was auch immer dir einfällt.

2. Die Accumulatio (Anhäufung)

Die Anhäufung funktioniert ähnlich wie die Verdopplung, hier verwendest du Adjektive, die zu einander in Beziehung stehen. Er konnte kein Geröll mehr sehen. Keine spitzen, zerklüfteten Felsen, keine scharfkantigen Steine, keinen splitternden Schiefer. In Summe geben sie ein einheitliches Bild, das du durch die Anhäufung verstärkst.

3. Die Opposition (Gegensatz)

Die Zehen unseres Wanderers sind schon ganz blutig, die Sandalen zerfetzt und das Hemd klebt ihm am Körper. Erschöpft schleppt er sich durch die graue Wüste und kann keine Eidechse mehr von einer Schieferplatte unterscheiden. Wie ein Blitz zuckt der Halm in sein Gesichtsfeld, grün, saftig und so kraftstrotzend, als hätte man ihn täglich gegossen. Das Grün blendet ihn, erschüttert ihn, und fieberhaft sucht er nach weiteren Anzeichen von Leben. In diesem Szenario ist der Grashalm überhaupt nicht mehr banal und verdient es, dass du nicht nur mit der Kamera drauf fährst sondern dein allerstärkstes Teleobjektiv einsetzt.

Ein Gegensatz wirkt umso stärker, je plastischer du ihn machst. Wenn ich in den idyllischen Ort von oben plötzlich eine Kettensäge hineinkreischen lasse, wird dir das weh tun. Kreischt dieselbe Kettensäge neben einem Lastwagen, der die gefällten Baumstämme abtransportiert, fällt sie dir kaum auf. Da ist sie Teil einer lauten aber allgemeinen Geräuschkulisse.

4. Die Übertreibung

Vielleicht fandest du meine Idylle aber auch ganz nett, hast dabei schmunzeln können und dich unter den bauschigen Wölkchen und neben den runden Kieseln im glitzernden Wasser so richtig angenehm eingerichtet. Das hängt mit meinem Schreibgestus zusammen, denn wenn ich dir in diesem Zusammenhang so ein Bild male, dann erkennst du die Ironie darin. Ich übertreibe maßlos, bauschige Wölkchen gehören sonst so überhaupt nicht zu meinem Wortschatz, dass ich mich an dieser Stelle einfach nur lustig machen kann. Auch das ist Kontrastprogramm.

Diese vier rhetorischen Figuren funktionieren übrigens nicht nur mit Adjektiven. Wichtig ist, dass du sie nicht wahllos einsetzt, sondern immer, um Effekte zu erzielen. Ob instinktiv oder kalkuliert ist dabei egal, mir zum Beispiel fließen solche Figuren einfach aus der Feder, aber ich justiere immer nach und überprüfe Rhythmus und Wirkung. Eine rhetorische Figur muss nämlich vor allem natürlich wirken, sonst wirkt dein Text überladen oder altmodisch. Oder einfach nur trivial.

In diesem Sinne, experimentiere und lass deine Adjektive auf dich wirken. Wenn die Wirkung passt, dann hast du gewonnen. Und wenn nicht? Weg damit. Gnadenlos. Wenn Sie ein überflüssiges Adjektiv sehen, bringen Sie es um.

Viel Spaß beim Schreiben!

ls-unterschrift

 

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