Zur Fantasy kannst du stehen wie du willst. Momentan boomt sie, und das können Erzrationalisten zwar mitleidig belächeln, aber nicht ändern. Warum aber stürzen sich Autoren und Leser auf Fantasy? Nur, weil darin der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind? Möglich. Ich denke aber, es liegt an den Figuren. Weil Fabelwesen, Geister und Co. ungeheuer spannend sind – vorausgesetzt, du setzt sie schlau und nicht nur als Kulisse ein.

Hast du einen guten Grund für dein Fabelwesen?

Nur, weil deine Fantasie mehr Freiheiten hat, bedeutet das nicht, dass die Grundsätze spannenden Schreibens plötzlich aufgehoben sind. Gerade weil dir mehr Möglichkeiten offenstehen, solltest du gut überlegen, was du tust. Wie immer ist die wichtigste Frage daher »Warum?« Warum willst du eine Rolle mit einem Fabelwesen besetzen und nicht mit einem Menschen?

Tummeln sich in deinem Figurenkosmos ausschließlich Fabelwesen, oder teilen sie sich den Lebensraum mit Menschen? Gut, es gibt also auch Menschen in deinem Roman, warum musst du die Rolle dann einem Fabelwesen übertragen? Irgendetwas muss für dich als Autor doch dabei herausspringen. Genau das solltest du klären.

Mache dir die Vorteile klar

Warum willst du unbedingt einen Vampir schreiben und nicht einen »gewöhnlichen« Serienkiller? Geht es dir um den Sexappeal? Damit kannst du einen charismatischen Feschak ebenfalls ausstatten. Aber der heißeste Typ kann nicht als Fledermaus fliegen oder in Form von Nebel durch Ritzen schlüpfen. Apropos Fliegen: Ein Drache beherrscht nicht nur den Boden sondern auch den Luftraum und unterscheidet sich schon dadurch von einem Löwen.

Was auch immer deine Gründe sind, gestehe sie dir ein, bevor du loslegst. Weil sich nämlich aus genau diesen Gründen das Verhalten deines Fantasiewesens und die Reaktion der anderen Figuren darauf ergeben wird. Du wärst nicht sehr clever, wenn du gegen deine eigenen Absichten anschreibst.

Die idealen Gegenspieler

Ein Grund, Fabelwesen einzusetzen, können seine besonderen Fähigkeiten sein. Gestaltwandler sind deshalb so interessant, weil sie uns Menschen auf eine faszinierende aber auch beängstigende Weise überlegen sind. Was sie zu idealen Gegenspielern oder zumindest zu ausgezeichneten Handlangern von Bösewichten macht!

Gegen ein übermächtiges, unmenschliches Wesen anzukämpfen, dazu braucht der menschliche Held schon mehr als Körperkraft. Selbst die kühnsten griechischen oder germanischen Recken gewannen nicht durch Muskelmasse, sondern durch eine gehörige Portion Grips. Und du weißt ja: Je größer die Schwierigkeiten, desto strahlender der Held und umso spannender dein Roman.

Was exotisch ist, fasziniert uns

Auch der Held kann ein Fabelwesen sein. Neulich sah ich auf Facebook ein Buchcover von einem Mann mit Schlangenhaut und ich gebe zu, diese Vorstellung wirft mein Kopfkino hundertmal mehr an, als ein glutäugiges, schwarzhaariges Muskelpaket auf einem Nackenbeißer.

Gib einem menschenähnlichen Wesen ein ungewöhnliches Attribut, und es beschäftigt uns. Ich denke, dass das den Erfolg von Romantik-Vampiren erklärt, von Feuerdämonen und Nixen. Solange das Fremde nicht bedrohlich, sondern einfach nur anders wirkt, lieben wir es.

Mache deinen Lesern Identifikationsangebote …

Das Geheimnis von Spannung und Pageturnern liegt trotz allem in der Identifikation. Wenn deine Leser wissen wollen, wie es mit einer Figur weitergeht, blättern sie zur nächsten Seite oder zum nächsten Kapitel um.

Auch wenn du Fabelwesen einsetzt, sollten sie daher ein paar menschliche Züge haben. R2D2 in Star Wars und sein Roboterkumpel sind zwar Maschinen, aber sie denken und sprechen wie Menschen. Die Alraunen in Harry Potter weinen, wenn man sie ausreißt, sie fühlen also Schmerz und zeigen eine Reaktion, die wir mit Schmerzen verbinden.

Wenn wir nicht nachvollziehen können, wie eine Figur tickt, nehmen wir sie einfach zur Kenntnis und degradieren sie zum Statisten wenn nicht gleich zur Kulisse. Das gilt übrigens auch für die bösen Fabelwesen. Was beschäftigt deinen Leser wohl mehr? Ein gefährliches Klischee-Monster oder ein fantastischer Gegenspieler mit Ecken, Kanten und guten Motiven?

… aber denke daran, dass dein Fabelwesen kein Mensch ist

Wenn eine Elfe aber immer so handelt oder denkt wie ein Mensch, beißt sich die Katze in den Schwanz, dann stellt sich nämlich die Frage, warum du überhaupt eine Elfe schreibst. Zeige dem Leser also, was sie vom Menschen unterscheidet, was sie zur Elfe macht, und bleibe dabei nicht bei Beschreibungen körperlicher Merkmale oder besonderer Fähigkeiten stehen.

In welchen Punkten denkt eine Elfe anders als ein Mensch? Welchen Wertekanon hat sie? Gibt es einen speziellen Ehrenkodex, an den sie sich hält? Ist es für eine Elfe erstrebenswert, eine Elfe zu sein, und ist sie stolz darauf, oder träumt sie heimlich von einem Menschendasein?

Wo steht dein Fabelwesen in der sozialen Hierarchie?

Ohne eine wissenschaftliche Untersuchung über dieses Thema angestellt zu haben, vermute ich, dass sich in der Fantasy-Literatur jede Menge Rassismus verbirgt. Die eine Spezies ist zur herrschenden Elite bestimmt, die andere zu einem Sklavendasein verdonnert, es gibt die Einfältigen, die Hinterhältigen, die Pfiffigen, die Kampfmaschinen usw. Und all das wird nicht durch den Charakter bestimmt, sondern durch die biologische Zugehörigkeit.

Du kannst natürlich die Klischees bedienen, und teilweise werden das deine Leser auch erwarten. Aber mache sie dir zumindest bewusst, dann kannst du nämlich auch mit ihnen spielen und deinem Plot die eine oder andere überraschene Facette hinzufügen.

Mit welchen Einschränkungen hat ein Fabelwesen zu kämpfen?

Ein Fabelwesen zu sein, ist nicht immer ein Vergnügen. Vielleicht schert eines aus der natürlichen Romanordnung aus? Zettelt einen Aufstand à la Spartacus an? Vielleicht geht es dem Wasserwesen ordentlich auf den Geist, immer auf die ätherische Sexbombe reduziert zu werden und Seeleute in die Tiefe zu locken? Wie wäre es mal mit einer feministischen Nixe?

Du merkst, worauf ich hinaus will. Klischees sind nicht zwangsläufig schlecht, wenn du sie zu nützen verstehst. Aus ihnen ergeben sich Probleme für deine Figuren, Hindernisse, die sie überwinden müssen. Was für den Protagonisten ganz besonders gilt, gilt für jede wichtige Figur in deinem Roman: Statte sie mit Sehnsüchen aus und lege ihr Steine in den Weg. Im Fall der Fabelwesen welche, die sich speziell aus ihrer Spezies ergeben.

Nütze Konventionen, statt sie auszuhebeln

Ich halte daher überhaupt nichts davon, Konventionen zu brechen, um einem Fabelwesen oder gar dir als Autor das Leben leichter zu machen. Vampiren schadet das Tageslicht, und das ist gut so, weil es die Beziehung zu einem Vampir erschwert. Wenn du ein Romantik-Picknick im Sonnenschein schreiben willst, such dir ein anderes Love Interest, aber ein Vampir gehört in die Nacht. Punkt. Wer Glitzervampire, Tageslichtringe und dergleichen mit einem magischen Bann belegt, hat etwas bei mir gut. Das gilt übrigens auch für böse Vampire. Die sollen sich ruhig ärgern, wenn sie im Morgengrauen nicht zubeißen dürfen, sondern in den Sarg müssen.

Und notfalls erfinde Schwierigkeiten

Wenn du Fabelwesen erfindest, dann denke nicht nur in Kuriositäten, sondern auch, wie du diese Kuriositäten für deinen Plot nutzen kannst. Möglicherweise hört ein Kobold ausgezeichnet, und dank seiner Riesenohren bekommt er jedes Detail eines feindlichen Plans mit. Dummerweise hat er aber nicht nur Riesenohren sondern auch Riesenfüße, die viel zu groß für seine kurzen Krummbeine sind. Er läuft los, um den Helden zu warnen, doch es kostet ihn bei jedem Schritt so große Anstrengung, die Füße vom Boden zu heben, dass er bei seiner Ankunft erschöpft zusammenbricht und kein Wort herausbringt.

Die Sprache gehört zur Figur!

Genauso gut könnte der Kobold aber auch jedes Wort hören, versteht jedoch nur Bahnhof, weil er zwar Koboldisch in sieben Dialekten spricht, aber die Menschensprache nur Lärm in seinen Ohren ist. Wenn du dich für diese Lösung entscheidest, halte sie konsequent durch. Dann kann er zwar menschliche Handlungen interpretieren, wird aber niemals so denken wie ein Mensch.

In Dialogen, inneren Monologen und auch beim perspektivischen Erzählen zeigt eine eigene Sprache pro Figur den Könner. Überlege dir speziell bei Fabelwesen, wie sie sprechen. Du wirst deinem Leser die Lektüre erleichtern, wenn du keine komplett neue Sprache wie Klingonisch erfindest, doch Wortwahl, Gestus und – sehr moderat – auch der Satzbau sollten sich durchaus von denen der Menschen abheben.

Plausibilität ist Trumpf

In einem Punkt unterscheiden sich Fabelwesen nicht von Menschen: Wenn sie nicht plausibel handeln, strafen Leser sie ab. Sie sind Figuren wie jede andere, mit eigenen Motiven, eigenen Sehnsüchten und Zielen. Widme ihnen genauso viel Aufmerksamkeit wie deinen menschlichen Figuren und nütze für ihren Entwurf auch das Factsheet.

 

Ganz egal, ob du High Fantasy schreibst oder einfach hie und da ein etwas anderes Wesen einstreust, ob du uns Elfen, Drachen, Vampire, Engel, Nixen oder sonst was vorstellst: Nütze ihre Besonderheiten, motiviere sie gut und mach sie zu großartigen Figuren. Vor allem aber hab Spaß dabei und lass deiner Fantasie freien Lauf!

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