Manche Urteile wirken so richtig vernichtend. Oder freust du dich über eine Rezension, in der dein Kritiker die Welt wissen lässt: Platte Figuren, voll von Klischee? Der Vorwurf des Klischeehaften wirkt wie eine Killerphrase, der du nichts entgegensetzen kannst und die dich als Autor in die Verteidigungsposition drängt. Wie also gehst du mit Klischees souverän um?
Inhalt
Angst, die dich lähmt
Kritiker, Lektoren und Schreibratgeber haben dir eingeimpft, dass du Klischees um jeden Preis vermeiden sollst, und mittlerweile fliehst du sie wie der Teufel das Weihwasser. Du hast eine regelrechte Klischeephobie entwickelt, eine unbestimmte Angst, mit jedem Satz in ein Klischeefettnäpfchen zu treten. Unbestimmt deshalb, weil das Wort Klischee wie ein Damokles-Schwert über dir hängt, du aber nicht einmal weißt, wovor du dich da genau hüten sollst. Geschweige denn, wie du es besser hinkriegst.
Was ist überhaupt ein Klischee?
Im Literaturlexikon werde ich schon mal nicht fündig und die Wikipedia-Definition ist so verklausuliert, dass sie auch nicht wirklich weiterhilft. Am ehesten noch die Bezeichnung als Abklatsch und der Hinweis auf Schablonenhaftes. Versuchen wir es mal von der Wirkung her: Klischees sind so ähnlich wie Phrasendrescherei. Kennst du das, wenn dir in einer Diskussion jemand ein Sprichwort um die Ohren haut und damit den Gedankengang abwürgt? Weil in der Phrase vermeintlich alle Weisheit der Welt bereits enthalten ist.
Und deshalb ist das Klischee so verpönt
Ein Klischee funktioniert ähnlich. Es werden Bilder, Eigenschaften oder Handlungen aufgerufen, und schon holen wir aus unserem echten oder von Vorurteilen geprägten Erfahrungsschatz die entsprechende Vorstellung heraus. Klingt bequem? Ist es auch. Ist aber auch langweilig und unoriginell, weil nämlich nicht du das Bild bestimmst, das in den Köpfen deiner Leser entsteht, sondern deine Vorgänger. Und im Kopf deines Lesers entsteht noch ein zweiter Eindruck: Alles schon mal da gewesen.
Einzigartigkeit ist Trumpf
Natürlich ist es nicht leicht, sich immer etwas Neues auszudenken, nicht von ungefähr sagt man, dass alle Geschichten bereits erzählt sind. Gewiss lassen sich die meisten Erzählungen auf einige Topoi zurückführen, vielleicht sogar auf den einen großen Arche-Mythos, die Heldenreise*. Also kommt es auf die Ausführung an und die Details gewinnen an Bedeutung.
Klischees sind gemein, weil sie so besonders gut funktionieren, und da nehme ich mich selbst nicht aus. Auch mein Marchese hat markante Züge – was immer das heißen mag. (Ich denke da an diese ultramännlichen Rasierklingenwerbungstypen.) Meine frühere Co-Autorin schrieb lange Zeit und mit großer Vorliebe über die Linien eines Gesichts. Beides ist so allgemein wie nichtssagend. Wie sieht ein schöner Mann für dich wirklich aus, was macht ihn nicht nur schön, sondern faszinierend? (Uff, zum Glück hat der Marchese doch noch andere optische Eigenschaften 😉 )
Gib dem Leser Freiheit oder ein ganz spezielles Bild
Wenn du eine Leerstelle schaffen willst und deinem Leser alle Freiheiten lässt, sich sein eigenes Traummannsbild vorzustellen, dann gib ihm wirklich Freiheit. Aber wenn nicht, dann zeig ihm Details, die er sich auch noch hundert Seiten weiter merkt. Mal angenommen du schreibst über eine Karrierefrau. Fällt dir nichts Besseres ein als Businesskostüm und toughes Auftreten im Meeting?
Wie wäre es mit Füßen, die in den teuren Schuhen wehtun, und dem Jonglieren mit Handtasche und Aktenkoffer? Aus dem Aktenkoffer bekommt man nämlich den Schlüssel oder die Geldbörse nie einfach und elegant genug heraus und der Lippenstift macht in der Handtasche auch mehr Sinn, die nimmt man nämlich aufs Klo mit. Womit genau macht deine Businesslady die männlichen Kollegen im Meeting platt, was heißt für dich überhaupt tough? Wäre hinterfotzig oder raffiniert sogar die bessere Strategie, die sie die Karriereleiter wie eine Rakete hinaufschnellen lässt? Zeig sie in Action!
Kenne deine Erzählwelt
Robert McKee erklärt in seinem Buch Story* unter anderem, warum Klischees zustande kommen. Wenn du als Autor deine Welt nicht bis ins kleinste Detail kennst, dann kupferst du nämlich ab, was du woanders gesehen hast. Weil dir deine Ideen ausgehen, nimmst du dir Filme oder andere Bücher als Vorlage, dann werden deine Figuren, Orte, Handlungen oder Szenen zum Abklatsch.
Als Autor musst du jede Frage zu jedem Detail deiner Geschichte aus dem Effeff beantworten können. Du musst wissen, wie die Welt aussieht und funktioniert. Wenn du keine Ahnung von Vorstandsetagen hast, dann recherchiere oder lass es bleiben. Deine Figuren handeln auf eine bestimmte Weise, weil sie gar nicht anders können, weil das in ihrem Charakter so angelegt ist. Deshalb ist eine gut ausgearbeitete, komplexe Figur ja so wichtig. Dein Businessvamp ist kein Klon von Miranda in Der Teufel trägt Prada, sondern sie kommt in deiner Geschichte vor, und nur in deiner.
Woher nimmst du deine Bilder?
Sicher, Filme und andere Bücher sind eine hervorragende Inspirationsquelle, die ich auch selbst nutze. Erinnere dich aber auch an deine Erfahrungen, an reale Menschen und reale Situationen und mische sie mit deiner Fantasie. Und was du nicht kennst, recherchiere. Wenn ich Das Gift der Schlange 1785 ansiedle, muss ich wissen, wie ein Bürgerhaus zu der Zeit aussah oder ein Rokokoschloss von innen. Ich muss in Kostümkunde eintauchen, muss wissen, mit welchen Waffen man damals kämpfte.
Doch deine Erzählwelt soll sich ja von anderen abheben, also musst du etwas Eigenes erschaffen. Stelle deine Erfahrungen neu zusammen, versetze sie in andere Zeiten, andere Orte, andere Settings und adaptiere sie. Schaffe mit deiner Fantasie andere Verbindungen.
Genre und Klischee
Ich schreibe privat an einem Vampirroman und natürlich beschäftigte ich mich mit den Großen der Zunft. Ich las meinen Bram Stoker, meine Anne Rice, ich sah Dokumentationen, studierte wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Bücher, ja ich gestehe dir sogar, dass ich mir Vampire Diaries leidenschaftlich reinziehe.
Werde ich dich aber überzeugen, wenn ich die fünfhundertste Vampirromanze à la Twilight schreibe? Wohl kaum. Der Dracula-Horror ist ausgereizt, die Parodie ist seit Roman Polanski mit seinem Tanz der Vampire kaum zu überbieten. Meine Vampirstory braucht also mein spezielles Setting, meine spezielle Prämisse und meine ganz besonderen Helden.
Und das gilt ebenso für dich, ganz egal, ob du Liebesromane, Thriller, Fantasy oder Erotika schreibst. Wieso kennt man Dan Brown seit Sakrileg (Da Vinci Code) oder John Grisham seit Die Firma? Was unterscheidet Stolz und Vorurteil von einem Nackenbeißer-Roman? Und was macht dein Buch inmitten der ganzen Chicklit so besonders, dass man auch noch in einem halben Jahr daran denkt?
Spiele mit Klischees, benutze sie!
Wenn ich meinen Vampirroman schreibe, bediene ich natürlich Klischees. Ein Vampir trinkt Blut, muss die Sonne meiden und ist untot und mein Vampir hasst Knoblauch ebenso wie Weihwasser oder Kreuze. Jedes Genre hat seine Klischees, die Frage ist jedoch, was du daraus machst. Du kannst ein Klischee auch ironisieren, übertreiben und brechen.
Jede Parodie funktioniert nur mit Klischees, jeder Whodunit-Krimi bedient ein Klischee. Setze Klischees dort ein, wo du mit ein, zwei Sätzen bekannte Bilder abrufen willst, und dann mache etwas Spezielles daraus. Klischees sind Kulisse für deine Handlung, aber die Handlung selbst, die Figuren und die Erzähltechnik, die sollten unverwechselbar sein.
Wenn du ans Schreiben gehst, lege dir also eine Strategie zurecht, wie du mit Klischees umgehen willst. Erkenne sie. Prüfe, ob du sie brauchst oder dir etwas viel Besseres einfällt. Und wenn du ganz sattelfest bist, benutze sie, hau sie deinem Leser um die Ohren, dass er sich vor Lachen nicht mehr halten kann. Aber sei auf jeden Fall besonders!
Viel Spaß beim Schreiben!
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