In welche Figuren verlieben wir uns? Manchmal habe ich den Eindruck, dass Amor seine Pfeile ziemlich blind verschießt. Dabei ist Verlieben eine der stärksten Emotionen, die du bei deinen Lesern hervorrufen kannst und mit der du sie an deinen Roman fesselst. Wie stellst du es also an, dass Leser deine Figur in ihr Herz schließen und Tag und Nacht von ihr träumen?
Inhalt
In was verliebt man sich überhaupt?
Das Aussehen alleine kann es nicht sein, denn in Romanen tummeln sich so viele attraktive Männer und berückend schöne Frauen, wie man sie sonst höchstens in einer Modellagentur oder einem Castingbüro in Hollywood ein- und ausgehen sieht. Warum sticht Mr. Darcy unter seinen Konkurrenten in der literarischen Landschaft heraus? Warum himmelt eine ganze Generation von Mädchen einen Vampir namens Edward an? Warum verfielen ältere Semester einem schönen Apachen, der weder sonderlich komplex angelegt ist noch als authentischer Indianer besticht?
Fürs unsterbliche Verlieben braucht es das gewisse Etwas
Die Alltagstypen mögen wir gerne haben, aber haben sie tatsächlich das Zeug zum einen, alles überstrahlenden Sehnsuchtsobjekt? Werden sie langfristig in Erinnerung bleiben? Während der Lektüre sympathisieren wir vielleicht mit ihnen, doch sind die Kerle aus den diversen Liebesromanen nicht letztendlich austauschbar? Wenn ich an meine Leserkarriere zurückdenke, fällt mir bestenfalls eine Handvoll Figuren ein, die ich mir jederzeit ins Gedächtnis rufen kann und die in mir sofort das aufgeregte Kribbeln auslösen. Der Rest geht in der riesigen Masse gnadenlos unter.
Worauf es vor allem ankommt, ist die Ausstrahlung einer Figur. Fühlt man sich in ihrer Nähe wohl, welche sinnlichen Wahrnehmungen löst sie aus? Es reicht nicht zu schreiben, dass sich der Herzschlag einer anderen Figur erhöht. Das Herz deiner Leser muss schneller schlagen. Gerade beim Verlieben funktionieren reine Behauptungen eben nicht. Gerade wenn es um Figuren geht, in die deine Leser sich verlieben sollen, möchte ich dich mit beiden Händen an den Schultern packen, dir nachdrücklich in die Augen sehen und dich erinnern: Erzähle nicht – lass sie fühlen!
In Figuren verlieben geschieht nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Körper
Natürlich ist der Charakter ganz entscheidend, wenn wir einen Partner für uns erwählen. Der Charakter wird uns auch zu einer bestimmten Figur mehr hinziehen als zu anderen. Aber eben nicht nur. Es geht um die Aura, denn die hüllt uns ein. Wenn du also eine Figur entwirfst, in die deine Leser sich verlieben sollen, umgib sie mit einer ganz besonderen Energie, die sie von Millionen anderer Figuren unterscheidet.
Ja, wir sind wieder bei der Körperlichkeit. Aber nicht mehr bei den blauen Augen und schwarzen Haaren, nicht bei den Sixpacks, oder wenn dir das besser gefallen sollte auch nicht bei den Sommersprossen oder Tattoos. Auch nicht beim Sex. Wir sind beim Auftreten, bei der Präsenz. Wie fühlt es sich an, wenn der Charakter den Raum betritt? Erscheint er oder ist er schüchtern, strahlt er Liebenswürdigkeit aus, Verletzlichkeit oder Gefahr?
Um Ausstrahlung schreiben zu können, musst du sie selbst spüren, nämlich aus der Figur heraus. Schlüpfe in sie und fühle, wie sie den Raum betritt, sich bewegt, in einem Gespräch gestikuliert. Mache ihren Körper für eine gewisse Zeit zu deinem eigenen. Um eine Figur zu schreiben, in die andere sich verlieben können, darfst du nicht mehr du selbst sein, sondern du musst in der Figur voll und ganz aufgehen.
Figuren zum Verlieben kannst du nicht am Reißbrett konstruieren
Natürlich brauchen sie wie jede gute Figur Komplexität und mehrere Dimensionen. Sie brauchen hervorstechende Eigenschaften, eine Vorgeschichte und unbedingt auch Schwächen. Verletzliche Seiten und ungeschicktes Verhalten, für das du sie ordentlich ausschimpfen möchtest. Weil Menschen nun mal so sind und deine Leser sich in Menschen verlieben, nicht in unfehlbare Überhelden.
Was du kaum konstruieren kannst, ist das Wertesystem und die Motivation einer Figur. Damit meine ich nicht die vordergründigen Klischees wie »er beschützt seine Lieben«, »sie will Rache nehmen«, »er tritt für die Benachteiligten ein«. Das sind Symptome, aber nicht die Ursachen. Finde heraus, was die Figur, in die man sich verlieben soll, wirklich bewegt. Warum sie tut, was sie tut. Warum sie will, was sie will. Spüre ihr Kernbedürfnis so, als ob es dein eigenes wäre.
Geheimnisvoll und unerreichbar
Was ist nun der Trick bei diesen literarischen Figuren, deren bloße Erwähnung schon wohlige Schwingungen erzeugt? Sie sind vom Nimbus des Geheimnisvollen umgeben, oft exotisch und die meisten von ihnen wirken unerreichbar. Zumindest sind sie nicht für jedermann zu haben, sondern nur für einen ganz bestimmten Menschen. Das ist nämlich der eigentliche Clou bei den Millionärsromanen und den mittlerweile schon inflationär auftretenden Bad Boys: Wir suchen das Besondere, das nur wir zähmen können.
Warum verlieben sich nicht alle in deine Figuren?
Aus genau dem Grund, aus dem sich nicht alle in denselben Menschen verlieben. Es hat nicht nur etwas mit verschiedenen Geschmäckern zu tun, sondern auch mit dem Selbstwertgefühl deiner Leser. Ich habe einige dieser geheimnisvollen Unerreichbaren geschrieben, aber nicht jeder fühlt sich diesen Figuren auch gewachsen und einige betrachten sie daher keineswegs als Objekte der Begierde. Manche waren zwar nach eigenem Bekunden fasziniert, würden sich in solche Männer aber niemals verlieben, weil sie ihnen drei Nummern zu groß sind. Sie schützten sich also selbst.
Biete daher deinen Lesern auch Identifikationsfiguren
Fühlen sich Leser selbst souverän und stark, werden sie vermutlich keine Probleme haben, sich in einen scheinbar unerreichbaren Mann zu verlieben. Sie wissen, dass ausgerechnet sie ihm gewachsen sind. Nur was ist mit denen, die sich dazu nicht in der Lage sehen? Für diese brauchst du einen Stellvertreter in der Geschichte. Einen oder eine, die genauso fasziniert ist, und den Traummann dank ihrer Charaktereigenschaften tatsächlich für sich gewinnt.
Ich war anfangs enttäuscht, wenn sich manche Leser eine andere Lieblingsfigur wählten als Merahwi oder erst recht den Marchese. Warum mochten sie lieber Julian oder die Gräfin, warum sympathisierten sie mit Miguel statt mit dem Torero? Weil die ihrer eigenen Lebensrealität näher stehen und sie sich mit ihnen daher identifizieren und gemeinsam mit ihnen schmachten können.
Wenn du Amor spielen willst und zwischen deinen Lesern und einer bestimmten Figur die Funken fliegen sollen, baue diese Figur also als Sehnsuchtsobjekt auf und zeige gleichzeitig anhand einer anderen Figur, dass man sie trotz der vermeintlichen Unerreichbarkeit erringen kann. Und wie stellst du sicher, dass Leser sich tatsächlich verlieben? Ganz einfach:
Dont’t tell – make them feel!
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