Wolltest du deinen Roman immer schon mal auf der großen Leinwand sehen? Vielleicht dauert es ja noch ein bisschen, bis Hollywood anruft. Aber bis dahin drehst du deinen eigenen Film für deine Leser – und du bist der Kameramann und die Erzähltechnik ist deine Kamera! Wenn du diese 8 Techniken beherrschst, wird dein Leser ganz großes Kino erleben 🙂

1. Illusion ist alles

Abgesehen von einem Buch kannst du nirgendwo so tief in eine Geschichte eintauchen wie im Kino. Wenn du dir denselben Film im Wohnzimmer ansiehst, und sei der Fernseher noch so groß, dann weißt du einfach, dass du im Wohnzimmer sitzt. Du siehst nicht nur den Film, sondern auch die Kerzen auf dem Tisch, die Bilder auf der Kommode und die Vase neben der Glotze. Werbepausen dienen dem Chips-Nachschub, und wenn der Film nicht im Privat-TV, sondern auf dem DVD-Player läuft, hast du immer noch die Pause-Taste. Im Kino hingegen geht das Licht aus und du bist mitten drin in der Story.

Ich will dir nicht ausreden, ein literarisch-intellektuelles Meisterwerk zu verfassen, nur wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu der Sorte Roman, die Leser verschlingen. Das soll nicht heißen, dass du trivial schreiben sollst, beileibe nicht! Aber ein Leser, der in einen Roman abtauchen will, will alles vergessen. Also zeige ihm nicht das Drumherum um den Fernseher, sondern zieh ihn in die Leinwand. Auf Deutsch: Zeig ihm nicht, dass du erzählst. Lösche den Erzähler aus und verschone den Leser mit Erklärungen und Kommentaren.

2. Wo steht die Kamera? – Die Perspektive

Im Kino wirst du nur selten einen Erzähler hören, und wenn, dann ist er meistens eine Figur, die in irgendeiner Verbindung zum Erzählten steht. So zum Beispiel Rose in der Rahmenhandlung von Titanic, und selbst das nur an den Schnittstellen zur eigentlichen Geschichte.

Lass deinen Leser den Roman aus der Perspektive deiner Figuren erleben. Ihn interessiert nicht, was du denkst, sondern was deinen Figuren passiert, er will in die Figuren schlüpfen und mitspielen. Kannst du dich noch erinnern, was ich dir über die Perspektive gesagt habe? Wenn nicht, dann solltest du das noch einmal nachlesen, und zwar hier und hier.

3. Weitwinkel gibt einen Überblick, schafft aber auch Distanz

Weitwinkel ist das Objektiv, das dir einen ganz großen Bildausschnitt gibt. Du siehst sehr viel, aber nichts im Detail, etwa wenn die Kamera Manhattan ins Visier nimmt. Im Film soll dir das eine Idee über die Welt geben, in der die Handlung spielt, also z. B. Finanzhaie, Business, Lifestyle.

Für deinen Roman gilt, je mehr du auf einmal zeigst, desto weniger nimmt dein Leser wahr. Er bekommt einen groben Eindruck, eine Idee, aber er wird sich nichts merken und nicht einmal genau hinschauen. Weitwinkel in der Erzählung funktioniert am besten mit Klischees. Setze deine Figuren in ein Cabrio und lass sie zu fröhlicher Musik die Küste entlangfahren, das Meer glitzert und die Oleandersträucher vervollständigen das Bild. Das ist Atmosphäre, aber noch beliebig und damit keine Geschichte.

4. Das Teleobjektiv pickt Details heraus

Das Gegenstück zum Weitwinkel ist das Teleobjektiv, mit dem du Details ganz nah herholen kannst. Du filmst beispielsweise vom Empire State Building auf einen ganz bestimmten Zebrastreifen herunter und fasst nur den ins Auge. Und schon erwartet das Publikum, dass auf diesem Zebrastreifen etwas passiert.

Mit Details kannst du Blicke lenken und mit Blicken das Interesse. Wenn Jennifer wieder einmal zu spät kommt und Mark vorwurfsvoll auf die Uhr klopft, dann siehst du Marks Finger und nicht die Ampel hinter ihm. Und wenn das Zifferblatt elfenbeinfarben ist, von der Krone ein kleines Stück abgesplittert ist und das ehemals rotbraune Lederband schon so viele Knicke hat, dass der Alligator eher nach Streifenhörnchen aussieht, dann hast du den Blick auf der Uhr. Wahrscheinlich siehst du nicht einmal mehr, dass der Zeiger auf sieben nach drei steht, sondern du fragst dich, warum Mark denn unbedingt wie der letzte Penner herumlaufen muss. Vielleicht ist die Uhr aber auch das in Ehren gehaltene Erbstück seines Großvaters und spielt noch eine wichtige Rolle.

5. Ausschließlich Close-Ups sind langweilig

Solche Detailaufnahmen wirken aber nur dann, wenn du sie gezielt verwendest. Im Kino siehst du auch nicht ständig die Poren oder Zahnlücken der Figuren. Bei Harry Potter zum Beispiel spricht Snape während eines Quidditch-Turniers eine Beschwörungsformel, die Kamera zeigt dabei Alan Rickmanns murmelnden Mund. Das wirkt deshalb so eindringlich, weil es im Kontrast zum schnellen Spiel und zum weitwinkelartig aufgemachten Blick auf die Zuschauer steht. Hätten wir hingegen lauter Nahaufnahmen, würdest du keiner davon Beachtung schenken.

Das gilt ebenso für deine Figuren. Fallweise können blitzende Augen einen Dialog wunderbar in Szene setzen, aber wenn das Blitzen, Funkeln, Lächeln, Grinsen zum Dauerzustand wird, bekommen deine Figuren große Ähnlichkeit mit bemalten Karusselpferden. Alles, was du zu oft einsetzt, wird uninteressant.

6. Zoom bringt Bewegung in die Bude

Das Zoom ist eine Alternative zur Kamerafahrt, bei laufender Kamera wird die Brennweite verändert. So entsteht der Eindruck, dass das Sujet auf uns zukommt oder sich von uns wegbewegt.

Auch im Roman kannst du heran- oder wegzoomen, indem du den Bildausschnitt veränderst, hier kannst du Adjektive mal sinnvoll einsetzen. Ein herankommender Reiter kann etwa erst winzig wie ein Kirschkern erscheinen, dann ist er klein wie eine Walnuss, wächst zur Größe einer Melone, nimmt die Form eines stämmigen Hundes an, schwillt zu einem geflügelten Pferd an, und schlussendlich siehst du nur mehr die harten Schuppen des Drachen, der mit den Schwingen schlägt, während der Drachenreiter dich von oben herab finster mustert.

7. Der Schwenk suggeriert Kontrolle

Eine meiner Lieblingseinstellungen ist der Schwenk. Die Kamera wird dabei bewegt, und so glaubt der Zuschauer, seinen Blick gleiten zu lassen. Er meint, die Szene absichtlich und kontrolliert wahrzunehmen, während in Wahrheit die Kamera den Bildausschnitt vorgibt.

Gleiten bedeutet eine kontinuierliche, logische Bewegung, mit Sprunghaftigkeit hat das nichts zu tun. Zeigst du eine Figur, dann springe daher nicht vom Kopf zu den Füßen, zu den Schultern, zum Rocksaum und wieder zurück zum Anhänger im Dekolleté. Beziehungsweise wenn du springst, dann kannst du so den Eindruck erwecken, dass der Betrachter verwirrt ist oder hektisch etwas sucht. Ich zeige dir den Kameraschwenk anhand eines meiner Übungstexte; der Würfelspieler Knolo sitzt auf dem Boden, als ein Fremder hinzutritt:

Knolo machte Anstalten, sein Geld einzusammeln, als er plötzlich eine Silbermünze zwischen den Fingern hatte. Er blickte an der schlanken Gestalt hoch, die ihren Schatten auf ihn warf. Die Stiefel waren aus feinstem Leder, schwarz und blank gewichst. Dunkel waren auch die Beinkleider, aus robustem aber edlem Tuch. Wer sich solche Kleider leisten konnte, durfte ohne zu zögern eine Silbermünze beim Würfeln riskieren. Der Fremde ließ sich zu ihm herab, der Saum seines weiten Umhangs fiel in den Staub, was er jedoch nicht zu merken schien. Mit silbernen Spangen war der Mantel an den Schultern befestigt, langes schwarzes Haar fiel dem Mann über die Achseln, als er sich vorbeugte, um nach den Würfeln zu greifen. An der feingliedrigen Hand funkelte ein Saphir.

Merkst du, wie Knolos (und damit auch dein) Blick geführt wird? Von unten hinauf, was nebenbei die soziale Hierarchie erlebbar macht, die Details am Oberkörper sind überhaupt erst erkennbar, wenn der Fremde sich zu Knolo herablässt. Hätte ich mit dem Kopf begonnen und ihn von oben nach unten beschrieben, hätte das zwar der üblichen Wahrnehmung entsprochen, nicht jedoch der des Würfelspielers. Und in wessen Perspektive bist du dadurch? Du nimmst den Unbekannten aus Knolos Augen und mit seiner Bewertung wahr.

8. Und Schnitt!

Genau genommen ist der Schnitt keine Kameratechnik sondern die Montage zum fertigen Film. Es gibt unterschiedliche Techniken, von einer zur nächsten Filmsequenz überzugehen. Für uns sind vor allem zwei interessant: Beim Kameraschnitt wird die Kamera nach jeder Einstellung auf Pause gestellt, bei Schuss-Gegenschuss bewegt sie sich entlang der Dialogachse und zeigt immer abwechselnd die Perspektive der Dialogpartner.

In deinem Roman wechselst du beim harten Schnitt abrupt die Szene oder Perspektive. Ein harter Schnitt ist zwar nicht die eleganteste Lösung, aber effektvoll, oft ist er wirkungsvoller als sanfte Überleitungen (den Überblendungen im Film vergleichbar) und hat eine ganz eigene Dynamik. Vor allem kannst du sehr schnell Spannung durch einen In-media-res-Einstieg erzeugen. Verschwende ihn daher nicht, sondern setze ihn bewusst an Übergängen ein oder wenn du rasche Perspektivwechsel vornimmst.

Mit Ausnahme von ausgesprochenen Kunstfilmen werden beim Film unterschiedliche Kameratechniken gemischt. Genau das empfehle ich dir auch für deinen Roman. Variiere, das macht deine Erzählweise raffiniert und lebendig. Denn letztendlich sind die einzelnen Möglichkeiten niemals Selbstzweck sondern stehen immer unter dem einen, ganz großen Ziel: maximale Illusion.

Auf dass deine Leser eintauchen, abtauchen und die Romanwelt erkunden. Und einmal mehr dein Buch verschlingen! Viel Spaß beim Schreiben!

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