Heldentod. Eine Feuerschale auf einer Mauerkrone

Der Heldentod in Romanen ist bedeutsamer denn je

Neulich las ich einen Schreibtipp, in dem die Autorin gegen den Heldentod plädiert. Er sei nicht mehr zeitgemäß, meint sie. Sie begründet es mit überkommenen Vorstellungen von Vaterland, mit destruktiver Einstellung zum eigenen Leben und damit, dass sich der Held für eine abstrakte Idee opfert, die wichtiger ist als er selbst. Sie meint, es passe nicht in unsere individualisierte Gesellschaft. Ich sage, gerade deshalb ist er notwendiger denn je!

Was ist überhaupt ein Held?

Der Haken ist, dass sie für ihre Argumentation aus einem sehr einseitigen Heldenbild schöpft. Dem Heldenbild, das uns das Militär einreden will, dem Heldenbild, auf das sich religiöse Fanatiker stützen. Dem Heldenbild, das Menschen zu willigem Kanonenfutter macht. Aber das sind und waren nie Helden, das waren Mitläufer oder Opfer.

  1. Ein Held oder eine Heldin stellt sich der Gefahr und zwar tatkräftig. Helden handeln nämlich.
  2. Sie treten für eine Sache ein, die größer ist als sie selbst. Aus Überzeugung und freien Stücken. Dabei geht es ihnen nicht um ihre Eitelkeit oder Privatinteressen (auch das Seelenheil ist ein Privatinteresse), sondern sie handeln im Dienste der Menschheit.
  3. Zum Helden kann man sich nicht selbst erklären, sondern sie werden dadurch Helden, dass wir zu ihnen aufschauen. Sie zeigen uns, was möglich ist, sie werden zu Vorbildern.

Helden haben eine wichtige Funktion

Das ist genau der Grund, warum ich auch heute Helden für unverzichtbar halte. Ja, unsere Gesellschaft ist in immer weiter fortschreitendem Maße individualisiert. Du weißt, dass ich das Individuum mindestens ebenso hochhalte wie das Heldentum. Unter dem Eindruck der Ukraine-Invasion habe ich  darüber geschrieben. Weil Individualität mit persönlicher Verantwortung einhergeht. Wenn wir uns als Individuen begreifen und ernstnehmen wollen, müssen wir Stellung beziehen und Haltung zeigen.

Individualisierung bedeutet hingegen nicht, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht und nur mehr an sich selbst und seinem engsten Umfeld interessiert ist, alle anderen aber außen vor lässt. Dieser Egoismus hat leider ebenfalls Hochkonjunktur, und wenn jeder nur egoistisch an sein eigenes Wohl denkt, wird der ohnehin schon gehörig schlingernde Wagen, in dem wir dahinrasen, unweigerlich aus der Bahn fliegen und uns unter sich begraben.

Literarische Helden kombinieren Alltagsflucht mit Identifikation

Heldentum hat nichts mit der Waffe in der Hand zu tun. Auch nichts mit Dämonisierung von Gegnern und einem Wir gegen Sie. Es zeigt sich in Zivilcourage, wenn man bei ungerechter Behandlung von Kollegen den Mund aufmacht. Es zeigt sich im Hintanstellen von persönlicher Bequemlichkeit, um die Umwelt für unsere Kinder und Enkel zu retten. Es zeigt sich darin, dass wir Farbe bekennen, statt uns zu verkriechen. Wie aber können wir das lernen in einer Welt, die uns Eigeninteressen so schmackhaft macht?

Das Schöne an Geschichten ist, dass man in die Helden hineinschlüpfen und sich mit ihnen identifizieren kann. Als Identifikationsangebot zu dienen, ist schließlich der wichtigste Job literarischer Helden. Beim Schreiben kannst du, beim Lesen kann dein Publikum somit spüren wie es sich anfühlt, für eine große Sache einzustehen. Die Gefahr ist virtuell, wir sind in Romanen nicht tatsächlich in unserer Existenz bedroht, loten aber nichtsdestotrotz unbewusst aus, wofür wir antreten. Indem wir von großen Helden lesen, üben wir das kleine Heldentum für unseren Alltag ein.

Aber muss dafür unbedingt der Heldentod sein?

Jetzt wirst du vielleicht einwenden, dass der Tod nicht gerade ein sonderlicher Anreiz für das Heldentum deiner Leser ist. Schließlich willst du weder eine Selbstmordwelle bei deinen Fans auslösen noch sie für fragwürdige Anführer anfällig machen. Mit Heldentod hat das aber ganz und gar nichts zu tun, beim Heldentod geht es um etwas ganz anderes.

Kläre vor allem einmal die Motive. Deine und die deines Helden. Was willst du überhaupt zeigen? Geht es dir nur um den Effekt, die Tränen und die starke Szene? Frönst du hier deinem Voyeurismus oder was willst du wirklich vermitteln? Warum geht der Held, die Heldin in den Tod?

Helden sind bereit, sich zu opfern

In der Opferbereitschaft zeigt sich, dass sie für das Wohl der Menschheit alles zu tun bereit sind. Dieses Selbstopfer muss jedoch auch glaubwürdig sein und es darf vor allem etwas nicht sein: selbstverliebt, eitel und dumm. Und damit meine ich nicht nur deine Helden, sondern, verzeih mir bitte, auch dich.

Heldenfiguren und ihre Taten schrammen ebenso wie undifferenzierte Bösewichte hart am Klischee, wenn du sie nicht ausreichend motivierst. Ich stelle zum Beispiel sofort die Stacheln auf, wenn eine edle Frau sich selbstlos um die Hilfsbedürftigen kümmert, einfach weil sich das so schön liest.

Helden tun etwas Unerwartetes

Sicher, wir haben eine Idee und ein Traumbild vom perfekten Handeln. Überprüfe bei der Gelegenheit auch mal deine Rollenbilder. Wenn du ein weibliches oder männliches Klischee bewusst und absichtlich bedienst, dann fein, ich will es dir keineswegs ausreden. Doch ich möchte, dass du es überlegt machst und es dir nicht einfach passiert.

Helden oder Heldinnen tun jedoch nichts, was wir erwarten oder gar einfordern können. Sie handeln aus dem Moment, aus ihrer Überzeugung und aus ihrer Persönlichkeit heraus. Nicht um gut dazustehen, sondern um etwas zu bewirken. Das gilt für positive Handlungen ebenso wie für erschreckende. Sie nehmen Unverständnis ebenso in Kauf wie soziale Ächtung oder die Missbilligung deiner Leser, wenn es ihrer Mission dient.

Opferbereitschaft ist weder eitel noch dumm

Helden sind nicht blöd. Sie stürzen sich nicht mutwillig in eine Gefahr und schreien: »Juchu, ich darf untergehen!« Opferbereitschaft ist weder Selbstverleugnung noch Todessehnsucht. In meiner eigenen Reihe nahm der Orden den Marchese, den Prototyp einer Heldenfigur, deshalb vorübergehend aus dem Spiel, als er in eine persönliche Krise geriet. Mit Eitelkeit oder Selbstaufgabe würde man das Heldentum diskreditieren und es seiner Funktion berauben.

Mute deinen Helden nicht zu, sich für etwas zu opfern, das die Sache nicht wert ist oder was zig andere ebenfalls tun könnten. Ihr Opfer muss sinnvoll sein, etwas im Leben der anderen Mitspieler bewirken. Ganz egal, ob es im Tod, in vorübergehender Erschöpfung oder im Ausschluss aus der Gemeinschaft besteht.

Den Heldentod kann man nur einmal sterben

Muss der Held, die Heldin überhaupt sterben? Nicht unbedingt. Wenn du auf andere Weise zeigen kannst, wie sie über sich hinauswachsen. Das soll das Opfer nämlich eigentlich beweisen. Der Heldentod ist das letzte Mittel, das allerletzte. Und zwar das allerletzte Mittel für dich und das allerletzte für deine Figuren.

Vergeude ihn nicht. Dramaturgisch gesehen muss ich es dir ohnehin nicht erklären, denn wenn du die Figur umbringst, kann sie logischerweise nicht mehr auftreten. Lösche sie erst dann aus, wenn sie in der Memoria, in der kollektiven Erinnerung weiterlebt.

Sieg oder Niederlage

Der Heldentod muss deine Leser das fühlen lassen, worum es dir mit der Geschichte im tiefsten Herzen geht. Schreibe ihn nicht, ohne deine These zu kennen. Siegt der Held noch im Tod? Oder geht mit ihm auch die große Vision unwiederbringlich unter? Steht ein neuer Held auf und setzt die Aufgabe fort?

Mit dem Heldentod verankerst du deine Botschaft auf eine unglaublich tiefe und emotionale Weise. Deshalb halte ich ihn für alles andere als unzeitgemäß. Gerade im großen, verzweifelten Gefühl, in Erschütterung und Tränen, wenn wir als Leser den geliebten Helden verlieren, wünschen wir uns brennend, dass sein Tod nicht umsonst ist. In der unfassbaren Trauer über den Tod des Helden übernehmen wir sein Vermächtnis.

Don’t tell – Make them feel!

Deine Barbara

Einmaligkeit, extreme Gefühle und der Auftrag, das darf nicht einfach untergehen. Den Heldentod darfst du nicht banalisieren. Wenn du einen Heldentod schreiben willst, dann wirf deine vollen handwerklichen Fähigkeiten in die Waagschale. Dem Heldentod gebührt nichts Geringeres als die große Szene.