Wie viele Figuren brauchst du, um einen Roman zu schreiben? Die Frage ist leicht zu beantworten, wirft aber weit wichtigere auf. Zum Beispiel wie du die Rollen sinnvoll auf deine Charaktere verteilst. Die Konfiguration ist das Verhältnis, in dem die Figuren zueinander stehen, und die Struktur ihres Zusammenspiels. Und die Konfiguration entscheidet wesentlich darüber, wie sehr dein Roman fesselt.
Inhalt
Warum nicht jede Figur ein Prota ist
Im Sprachgebrauch mancher Autoren ist die Bezeichnung Prota für die Figuren fest verwurzelt. Nichts gegen Abkürzungen, ich verstehe durchaus, dass du das Bedürfnis hast, ein paar Silben einzusparen, um nach dem Facebook-Posting schnell wieder an deinen Roman zu kommen. Nur ist die Abkürzung, oder genauer das Synonym für Figur schlechthin, ungenau.
Der Agon war im Griechischen einerseits der Wettstreit, andererseits die Wechselrede, also der Dialog im Theater. Wörtlich übersetzt ist der Protagonist der erste Kämpfer. Und das ist in deinem Roman die Figur, mit der sich dein Leser identifizieren soll, in dessen Rolle er schlüpft, wenn er in die Handlung eintaucht.
Um deinen Protagonisten dreht sich alles
Dein Protagonist beherrscht die Gedanken der Leser, bis sie den Roman zuklappen, und im Idealfall noch darüber hinaus. Er muss nicht zwangsläufig ein Held sein, du kannst genauso gut einen Underdog zur Hauptfigur machen, oder einen Antihelden. Aber er sollte wiedererkennbar sein.
Wenn du unbedingt einen Durchschnittstypen zum Protagonisten machen willst, dann statte ihn mit einer Besonderheit aus, die ihn wenigstens irgendwie von der Masse abhebt. Das kann ein körperliches Merkmal sein, ein ungewöhnlicher Beruf oder ein anderes Charakteristikum. Denn dein Leser liest, um etwas zu erleben, um in jemand anderen einzutauchen, und das gelingt nun mal schwer mit 08/15-Typen, die er jeden Tag auf der Straße sieht.
Neben dem Besonderen muss dein Protagonist noch etwas Zweites mitbringen: Sehnsucht. Seine Sehnsucht löst nämlich erst die Handlung aus, selbst wenn sein sehnlichstes Ziel ist, in Ruhe gelassen zu werden. Ohne Sehnsucht gibt es keinen Konflikt, deshalb ist es ganz wichtig, dass du dir über das Kernbedürfnis und die Wünsche deines Protagonisten im Klaren bist.
Zum Konflikt gehören mindestens zwei?
Die Antwort auf die einleitende Frage, wie viele Figuren du in deinem Roman brauchst, lautet: Eine. Um eine Handlung zu tragen, benötigst du nur eine einzige Figur. Spannend wird die Handlung dadurch, dass du dem Protagonisten bei der Verfolgung seines Ziels Prügel zwischen die Füße wirfst.
Diese Prügel zu werfen ist Aufgabe der antagonistischen Kraft. Die muss aber kein Mensch sein. Auch ein abstraktes Prinzip, wie etwa Krieg, Zufall oder Angst, schwere Krankheiten wie Krebs, Alzheimer, AIDS oder verschiedene Formen von Wahnsinn können bösartige Gegenspieler sein und einen beklemmenden inneren Konflikt auslösen.
Der Feind deines Helden
Wenn du die antagonistischen Kräfte einer weiteren Figur anhängst, erlaubst du deinem Leser, diese Figur mit allen negativen Emotionen zuzuschütten, und Gefühle sind ja genau das, was du auslösen willst. Dabei kann der Antagonist sogar einer anderen Spezies angehören. Was habe ich den Fisch in Der alte Mann und das Meer gehasst!
Doch so richtig packend wird es, wenn du auch den Antagonisten mit Wünschen und Sehnsüchten ausstattest. Wenn wir anfangen, ihn zu verstehen.
Wende unbedingt ausreichend Zeit auf, um deinen Gegenspieler auszuarbeiten. Mit dem Protagonisten sympathisieren deine Leser, aber ein guter Gegenspieler geht unter die Haut.
Bleibe bei deiner Konfiguration glaubwürdig
Wie spannend ist ein Roman, in dem der Held seinen Gegenspielern haushoch überlegen ist? Wirst du Angst um den Helden haben? Wirst du dreihundert Seiten auf das Ende hinfiebern?
Der Antagonist sollte zumindest eine theoretische Chance haben, dem Helden die Suppe zu versalzen. Er hat aber nicht so eine hohe Bildung und ist auch körperlich unterlegen? Macht nichts. Vielleicht nimmt seine Ehrlosigkeit dem Protagonisten den Wind aus den Segeln. Meine ehemalige Co-Autorin hebelte etliche meiner Helden ganz locker aus, indem sie ihren Ehrenkodex unterlief und den Kampf auf die psychologische Ebene verlagerte. 😉
Wie sieht das nun mit mehreren Protagonisten aus?
Theoretisch kannst du deinen Roman von mehreren Protagonisten tragen lassen. Von mehreren Antagonisten übrigens auch. Nur machst du dir die Sache dadurch nicht unbedingt einfacher, denn du brauchst pro Protagonist einen eigenen Haupthandlungsstrang, und das kann deine Leser sehr leicht verwirren. Es kann schon funktionieren, wenn du zwei Handlungen gleichrangig nebeneinander führst und sie sich immer wieder überschneiden oder erst gegen Ende kreuzen. Aber frage dich vorher, wessen Geschichte du wirklich erzählst!
Natürlich kannst du mehrere Hauptfiguren schreiben
Ich bin kein Freund von Figurenmassen, die wie ein Heuschreckenschwarm über mich herfallen. Weniger ist mehr. Weil weniger dir nämlich erlaubt, deine Figuren solide auszuführen und beim Leser zu verankern. Du kannst das Personal um weitere Hauptfiguren erweitern, solange die Menge überschaubar bleibt und jede Figur wesentlich zur Handlung beiträgt.
Vielleicht fügst du noch ein Love Interest hinzu (obwohl mir in manchen Thrillern der Auftritt einer Geliebten schwer auf die Nerven geht). Wie du einen Vertrauten oder einen Sidekick gewinnbringend einsetzt, habe ich hier beschrieben, und was für den Protagonisten der Sidekick oder ein Mentor, ist für den Antagonisten der Handlanger. In den Marchese-Romanen stütze ich mich zusätzlich zum Antagonisten auf mehrere Gegenspieler, die alle ihre eigenen Interessen verfolgen.
Charakter oder Type?
Je sorgfältiger du eine Figur ausarbeitest, desto nachhaltiger bleibt sie deinem Leser in Erinnerung. Das ist auch der Grund, warum du nicht jede Figur zur Hauptfigur machen solltest. Wenn die einzige Aufgabe des Zeitungsausträgers darin besteht, die Leiche zu entdecken, interessieren mich seine inneren Beweggründe nicht. Wenn du ihn wie eine Hauptfigur einführst, erwarte ich nicht die Geschichte des Kommissars, sondern die des Zeitungsfritzen. Und schon hast du Lesererwartungen enttäuscht.
Figuren, die nur eine untergeordnete Rolle spielen, entwirfst du besser als Typen. Ein, zwei augenfällige (oder ohrenfällige) Merkmale, und die Figur ist umrissen, das ist genau der Fall, wo du gewinnbringend mit Klischees, besser aber noch mit aussagekräftigen Details arbeiten kannst.
So bewahrst du in Massenszenen den Überblick
Details sind vor allem wichtig, wenn mehr als zwei oder drei Figuren im Raum sind. Manchmal besteht die Notwendigkeit, Massenszenen zu schreiben. Bei Schlachten etwa, oder wenn Figuren mit ihrem Gefolge auftreten. Willst du nicht gerade die Masse als solche thematisieren, dann lenke den Fokus auf einzelne Figuren. Wie beim Verfolgerscheinwerfer im Theater richtest du den Spot mal hierhin, mal dahin.
Damit das funktioniert, brauchst du knappe Skizzen, um diese Nebenfiguren auseinanderzuhalten. Die Hauptfiguren sind deinem Leser vertraut, sie erkennt er an Name, Sprache und Auftreten. Sieh dir mal Fluch der Karibik an, dort findest du in den beiden Piratenzombis Nebenfiguren, die aus der Masse herausstechen, ohne gleich eine eigene Geschichte zu erzählen.
Was solltest du bei der Konfiguration unbedingt beachten?
Konflikt! Konflikt ist der Motor des Romans und dieser Motor schnurrt im Inneren der Figuren. Statte deine Figuren mit unterschiedlichen Interessen und Charakterzügen aus, selbst wenn sie auf derselben Seite stehen. Ein Liebespaar, das sich auf Seite zehn findet und unglaublich harmonisch und in steter Eintracht bis Seite dreihundert alles im Duett macht, bringt dir für den Roman gar nichts. Außer der Kitschszene auf Seite zehn hast du keinen Gewinn und kannst getrost eine der beiden Herrschaften streichen.
Wie viele Figuren setzt du am liebsten ein? Wie viele davon sind Hauptfiguren? Und schreibst du lieber Helden oder Gegenspieler? Wie auch immer, genieße es, sie auszuarbeiten und gegeneinander antreten zu lassen.
Don’t tell – make them feel!
Wie viele Figuren braucht ein Roman? Die Frage ist eigentlich die Forderung zu „funktionalem Erzählen“.
Da will einer oder eine eine Geschichte schreiben. Das sollte er oder sie dann auch machen. Genau das. Und nichts anderes. Nicht noch eine andere Geschichte oder schöne betrachtungen über dies und das. Alles, was da geschrieben wird, sollte der Geschichte und ihrer Vermittlung dienen. Jede Szene, jede Episode, jeder Dialog und natürlich jede Figur sollte eine klare und nachvollziehbare Funktion im Dienst an der Geschichte haben.
Alles andere kann und sollte in Frage gestellt werden. Kein Zierrat, kein unnützes blabla.
Wobei auch Zierrat eine Funktion haben kann: SIe kann dem Leser die Athmosphäre zeigen. Dann ist das die Aufgabe. Doch wenn eine ansich isolierte Szene diese Aufgabe hatte oder wenn ein unbedeutender, aber plastisch anschaulicher Charakter, ist es gut. Man muss nicht jede Episode und jeden Kauz zwischen die Buchdeckel zwängen.
Schön zusammengefasst, Alexander 🙂 Ja, wenn man einen spannenden Roman schreiben will, wird man um funktionales Erzählen nicht herumkommen. Ich denke, dass die Figurenflut oftmals von der Verwirrung kommt, welche Geschichte man nun tatsächlich erzählt. Im Grunde genommen verbirgt sich dahinter eine Storyflut.
Liebe Grüße
Barbara
Mmh, ich stelle mir gerade die Frage: habe ich viele Protas oder „nur“ vuele Charaktere? Weil meine Protagonisten a) nicht weiss wer genau sie ist und was sie kann und sich b) zusätzlich mit Gedächtnismanipulationen herumschlagen muss, habe ich viele andere Charaktere, die puzzelteilähnliches Wissen haben und es dem Leser mitteilen/zeigen, damit Protagonistin und Leser zum Ende hin vollständig im Bilde sind.
Liebe Sui,
Die Frage lautet: Welche Geschichte erzählst du? Wenn du erzählst, wie eine Frau allmählich ihre Identität findet, dann ist das die Geschichte und die Frau ist die Protagonistin. Und die anderen sind Figuren, die dazu beitragen oder sie an der Identitätsfindung hindern.
Liebe Grüße
Barbara
Ok, dann scheine ich „nur“ viele Charaktere zu haben.
Danke für deine Hilfe ?
Sehr gerne. Und letztlich ist es viel wichtiger, dass du sie gut ausarbeitest 😉
?ich habe das Gefühl ihren Bruder besser zu kennen als sie?
Ich arbeite dean, dass zu ändern.
Faszinierend, darüber habe ich mir letztens auch Gedanken gemacht 🙂
Über kurz oder lang landet man einfach bei den Figuren, Carola 🙂
Liebe Grüße
Barbara
Über kurz oder lang ja. Aber in diesem Fall war es so, dass ich mir auch überlegt habe, darüber einen Beitrag zu schreiben, hehe 🙂
Was du ja noch immer tun kannst und solltest 😉
Hallo und danke,
dass der Beitrag genau zum richtigen Zeitpunkt kam.
Eigentlich soll es zwei Protagonistin geben, die zwar grundverschieden sind aber sich trotzdem ergänzen sollen. Wäre es hier besser eher die eine hervorzuheben und die andere Figur eher als Hilfestellung für die Handlung zu verwenden?
Lieber Markus,
Du kannst schon beide prominent führen, aber überlege dir, WESSEN Geschichte du erzählst. Was ist der Hauptkonflikt in deinem Roman und wessen Konflikt ist das? Wenn du zwei Protagonisten hast, hast du zwei Storys, und die gleichberechtigt nebeneinander zu führen, ohne das Interesse deines Lesers zu verlieren, ist zwar nicht unmöglich aber auch nicht ganz einfach.
Um deine Frage also kurz und bündig zu beantworten und ohne dein Konzept zu kennen: Ja, ich würde mich für einen Protagonisten entscheiden und die andere Figur als zweite Hauptfigur aufbauen. Natürlich braucht auch sie einen Wunsch und idealerweise auch einen Konflikt. Oder gäbe deine Geschichte sogar her, sie zum Antagonisten zu machen?
Liebe Grüße
Barbara
Liebe Grüße
Barbara