Perspektive im Pageturner. Ein abgemagerter Mann mit einer Raubkatze

Perspektive im Pageturner? Vermeide unbedingt diese Fehler

Eines der besten und wichtigsten Werkzeuge, um einen Pageturner zu schreiben, ist die Wahl der richtigen Perspektive. Wenn die Perspektive passt, ziehst du deine Leser so tief in den Roman, dass sie selbst darin mitspielen und ihn seitenweise verschlingen. Aber bei der Perspektive werden auch sehr viele Fehler gemacht. Fehler, die den Genuss an deinem Roman komplett zerstören können. Erst neulich las ich wieder einen Roman an, dessen Thema und Setting ich richtig gut fand. Dennoch brach ich noch während der Leseprobe ab, weil ich ständig aus dem Lesefluss flog. Dass ich dieses Buch nicht kaufte, versteht sich wohl von selbst. Was also musst du tun, damit dir das nicht passiert? Was musst du bei der Perspektive beachten?

Wer erzählt deinen Roman? – Die Erzählerstimme

Ich weiß nicht, welchen Erzähler du beim Lesen bevorzugst und am liebsten schreibst, da der Pageturner jedoch auf Illusion und Eintauchen des Lesers setzt, kann ich dir nur empfehlen, den Erzähler so unsichtbar wie möglich zu gestalten. Je weniger er wertet, kommentiert oder erklärt, desto geringer ist die Distanz zwischen deinem Leser und der Geschichte bzw. deinem Leser und den Figuren. Oder anders gesagt, ein präsenter Erzähler verhindert die Identifikation, die du für einen Pageturner brauchst.

Das gilt sogar für den Ich-Erzähler. Der lässt dich als Leser zwar an seinen Ansichten und seinem Gefühlsleben teilhaben, aber wenn er wie beispielsweise Old Shatterhand die Geschichte für seine Selbstinszenierung missbraucht, driftest du als Leser weg. Wie viele lexikonartige Einschübe und Landschaftsbeschreibungen habe ich bei Karl May übersprungen!

Verzichte auf deine eigene Stimme und gib deinem Erzähler seine. Wenn er mit einer Figur identisch ist, oder du aus Sicht einer Figur erzählst, übernimm die Stimme dieser Figur auch für den Erzähler. Bei mir kannst du das sehr gut im Nachwort beobachten, das eine andere Sprache hat als die Erzählung selbst. Sogar wenn ich dir dort Teile des Schreibprozesses erzähle. 😉

Was muss dein Erzähler wissen? – Wahl der Perspektive

Wenn du eine Geschichte erzählst, musst du den Lesern laufend Informationen übermitteln. Aber kann der Erzähler überhaupt alles wissen, was der Leser wissen soll? Danach richtet sich, in welcher Person du erzählst.

Ich-Erzählung

Der Ich-Erzähler hat einen Tunnelblick, er kann nur das wissen, was er selbst erlebt hat oder was ihm eine andere Figur erzählt hat. Wenn der Ich-Erzähler eine faszinierende Figur ist oder den Leser bei seinen eigenen Problemen abholt, kann das zwar äußerst spannend sein, es schränkt dich beim Erzählen aber auch unheimlich ein. Es geht dann auf, wenn dein Roman durch eine sehr subjektive Sichtweise gewinnt und du die Story genau um diese Sichtweise herum drehst. Der personale Erzähler hat dasselbe Problem, denn hier schreibst du zwar in der 3. Person, erzählst die Geschichte aber aus der Sicht einer einzigen Figur.

Auktorialer (allwissender) Erzähler

Kein Wunder also, dass unerfahrene Autoren sich oft auf die auktoriale Erzählweise verlassen. Hier weiß der Erzähler alles, er kann in die Köpfe der Figuren sehen, kennt die Vorgeschichte und die Auswirkungen und hat alle Freiheiten der Welt. Genau das ist aber auch die Gefahr dabei, hier besteht die Herausforderung darin, dass du dem Leser nicht zu viel Information auf einmal bietest, damit er dir folgen kann.

Perspektive verschiedener Figuren

Eine dritte, zur Zeit äußerst beliebte Form ist die Erzählung mit wechselnder Personalperspektive. Hier erzählst du in der 3. Person, schlüpfst aber abwechselnd in verschiedene Figuren. Ich liebe diese Erzählweise sowohl als Leserin als auch als Autorin, weil sie unterschiedliche Sichtweisen ermöglicht, die Story toll vorantreiben kann und aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Hier kann ich extrem mit Nähe und Distanz spielen und dich sowohl in den Helden als auch in den Schurken versetzen.

Vermeide um jeden Preis Headhopping

Das oberste Gebot ist, dass sich dein Leser auskennt, je mehr er nachdenken muss, desto schneller fliegt er aus dem Text. Natürlich weiß der auktoriale Erzähler, was sich in den Köpfen aller Figuren abspielt. Aber wenn er nach Belieben hin und her springt, kann ihm der versierteste Leser nur mit Mühe folgen. Bleib über einen längeren Abschnitt bei einer Figur, sodass sich der Leser mit deren Gedankengängen und ihrer Perspektive vertraut machen kann. Er muss wissen, welche Figur gerade dran ist, in welcher er steckt.

Noch schlimmer wird es, wenn du die Regeln der deutschen Sprache missachtest. Ein kleiner Crashkurs zum Auffrischen: ›Dieser‹ bezieht sich auf die letztgenannte Figur (oder den letztgenannten Gegenstand, aber der spielt bei der Perspektive eine eher untergeordnete Rolle), ›jener‹ auf die früher genannte. Wenn du schon unbedingt meinst, dass du mit uns Ping Pong spielen musst, dann halte dich bitte wenigstens an diese Basics, damit wir dir zumindest theoretisch folgen können und nicht aufs Rätselraten angewiesen sind.

Wechsle die Perspektive nur in Ausnahmefällen innerhalb einer Szene

Nur in ganz, ganz seltenen Fällen musst du dieselbe Szene aus mehreren Perspektiven erzählen, und das erfordert extremes Fingerspitzengefühl. In 99 % aller Fälle kommst du jedoch mit einer Perspektive für die Szene aus, und das wird dir der Leser danken. Du weißt nicht, aus wessen Sicht du schreiben sollst? Probiere die verschiedenen Varianten durch. Welche Gefühle willst du vermitteln, in welche Figur soll der Leser schlüpfen? Es macht einen Unterschied, ob du eine Liebesszene aus der Sicht des aktiven oder passiven Parts schreibst, ob du einen Kampf aus der Sicht des Helden, des Schurken oder eines emotional beteiligten Zeugen schilderst. In wem der Leser während eines Streits steckt. Welche Wirkung willst du mit der Szene erzielen? Danach entscheide dich für die Perspektive, mit der du diese Wirkung am besten erreichen kannst. Kleiner Tipp: Je höher die emotionale Beteiligung der Figur desto mehr wirst du den Leser packen.

Zweimal dieselbe Handlung ist langweilig

Kennst du das? Du steckst gerade so schön in der Handlung drin, fieberst mit der Figur mit und willst dringend wissen, wie es weitergeht. Kapitelgrenze. Der Cliffhanger funktioniert, also liest du weiter. Hä? Wie bitte? Genau das hatten wir doch gerade? So geht es mir jedes Mal, wenn der werte Erzähler meint, er müsse mir dieselbe Szene jetzt auch aus der Sicht der anderen Figur näherbringen.

Mag ja sein, dass das in einem künstlerischen Roman aufgeht, aber bitte mache das nicht in einem Unterhaltungsroman und schon gar nicht, wenn du einen Pageturner schreiben willst. Eine Szene, die die Handlung nicht vorantreibt, hat in deinem Roman nichts verloren. Und wie viel eine Szenenverdopplung vorantreiben wird, muss ich dir sicher nicht erklären.
Erzähle eine Szene nur einmal und nur aus einer Perspektive und zwar aus der für die Wirkung besten. Erzählen heißt immer, eine Auswahl zu treffen und das nur Zweitbeste wegzulassen.

Was sieht der Perspektivträger?

Dass der Perspektivträger nicht alles wissen kann, leuchtet den meisten Autoren ja ein. Aber wenn es um die Beschreibungen geht, scheint das schon nicht mehr so klar zu sein. Perspektive heißt, in die Figur zu schlüpfen und mit ihren Augen zu sehen. Wenn diese Augen zufällig blau sind, wird das vielleicht die anderen Figuren beeindrucken, aber nicht den Perspektivträger. Außer, er ändert seine Augenfarbe zu Täuschungszwecken und ganz bewusst durch gefärbte Kontaktlinsen und macht sie zum Helden der Szene. Er fuhr sich durch sein schwarzes Haar kann ein Beobachter schreiben, der Perspektivträger wird sein Haar, seine Figur oder was auch immer an sich nur dann erwähnen, wenn es ihm im Vergleich zu einer anderen Figur oder einer anderen Szene oder Zeit wichtig ist. In dieselbe Kategorie fallen auch volle Lippen. Wenn du uns unbedingt bei einem Kuss erleben lassen willst, wie fest und voll die Lippen deines Helden sind, dann erzähl doch bitte aus der Sicht der oder des Geküssten.

Wie redet oder denkt man von sich selbst oder anderen?

In dieselbe Kerbe schlagen auch unplausible Bezeichnungen. Ja, ich weiß, es ist schwierig, immer nur er oder sie zu schreiben. Überhaupt wenn du zwei Ers in einer Szene hast. Aber mal ehrlich, bezeichnest du dich selbst, wenn du von dir denkst, als ›der Erfahrenere‹, ›der Ältere/Jüngere‹, ›der Schotte‹? Mit welchem Namen stellt sich deine Figur gerne vor? Passt zu ihrem Charakter und ihrem Auftreten besser der Vor- oder der Nachname?

Der Marchese denkt von sich selbst als della Motta oder der Marchese, so nennen ihn auch mit ganz wenigen Ausnahmen die anderen Figuren. Er denkt von sich nicht als Riccardo (das würde ihn weicher und handlicher machen, als er ist) und auch nicht als Visconti. Julian in Tanz der Ikonen denkt von sich als Julian, aber nicht als Doktor Melnik, ganz im Gegensatz zu seinem Chef Merahwi, bei dem sich die gedankliche Bezeichnung für Julian im Lauf des Romans ändert. Er selbst ist übrigens Merahwi und nicht Alexander, außer für Julian, aber das ist wieder eine andere Sache. 😉

Bitte nicht zu viele Perspektiven

Ich weiß, es ist verlockend, aus sehr vielen Perspektiven zu schreiben, denn gerade im Hinblick auf die Informationssteuerung ist es äußerst bequem. Aber für den Leser ist es anstrengend. Überlege dir daher sehr genau, was dir eine Perspektive bringt und wofür du sie nutzen willst. Beschränke dich auf ein paar wichtige Perspektivträger, die deine Geschichte in ihren unterschiedlichen Facetten zeigen. Für mich haben sich folgende Perspektivträger bewährt:

  • der Protagonist
  • der Antagonist
  • der Sidekick
  • das Love Interest

Wenn du mit mehreren Antagonisten schreibst (keine Handlanger, sondern welche mit eigenem Erzählstrang), bieten sich auch noch diese an. Weniger ist aber auch bei den Perspektiven meistens mehr. 😉

Don’t tell – Make them feel!

Deine Barbara

Die Wahl der richtigen Perspektive erfordert Überlegung, Probieren und Übung. Es kann passieren, dass eine Szene erst dann aufgeht, wenn du die Perspektive wechselst. Aber die Perspektive ist ein ungeheuer mächtiges Instrument beim Erzählen. Mache sie dir zunutze!