Wer kennt es nicht? Romane von Kollegen boomen, während der eigene nur in einer Nische Erfolge verzeichnet. Erfahrene Autoren erklären, das Publikum wolle dies oder das. Ganz viel Sex. Underdogs. Handicaps. Deine engsten Freunde und Familienmitglieder fangen nichts mit deinen Büchern an, sondern wünschen sich so sehr eine Geschichte über was auch immer. Und du kommst ins Grübeln. Widmest du dich vielleicht den falschen Stoffen? Solltest du vielleicht wirklich den Wünschen des Marktes folgen und auf Bestellung schreiben, um endlich einen Bestseller zu landen oder das Funkeln in den Augen deiner Lieblingsmenschen zu sehen? Doch was, wenn es so ganz anders ist als das, was du sonst gerne schreibst?
Als ich folgende Zeilen las, verkrampfte es mir den Magen
»Ich habe bisher Liebesromane geschrieben. Es ist das, was ich gerne selber lese, was mir am Herzen liegt … Mein neues Projekt geht nun in eine ganz andere Richtung. Am Herzen liegt es vor allem meinem Mann.« An dieser Stelle musste ich bereits heftig schlucken, doch als ich weiterlas, wurde es erst richtig schlimm. »Ich kann mir vorstellen, dass es gut funktioniert. Noch fällt es mir aber etwas schwer, mich einzufinden. Gibt es einen Trick, wenn man sich auf ein Thema stürzt, das nicht unbedingt die eigenen Ideale und Interessen voll trifft?«
Am liebsten hätte ich Jutta, die Fragestellerin, an beiden Schultern gepackt, vor lauter Angst geschüttelt und ihr in die Ohren geschrien: »Lass es bleiben!« Doch Nein sagt sich sehr schnell, und sie wird ihre Gründe haben, warum sie sich diesem Projekt widmet. Also sehen wir uns lieber einmal an, wie sie oder auch du das Beste aus so einer Aufgabenstellung herausholen könnt.
Warum schreibst du?
Die Gründe zu schreiben sind so vielfältig wie Autoren. Die eine hat eine Botschaft, die sie unbedingt transportieren will, der andere will ein eigenes Erlebnis festhalten oder verarbeiten. Etliche stehen unter einem unglaublichen Mitteilungsdrang und erklären, die Geschichten müssten einfach aus ihnen heraus, sonst würden sie platzen. Wiederum andere brauchen den Applaus, die Anerkennung und Befeuerung durch das Publikum wie die Luft zum Atmen. Manche können sehr gut mit Worten umgehen und wollen schlicht und einfach Talerchen scheffeln wie Dagobert Duck, andere wiederum wollen jemandem einen Gefallen erweisen.
Warum du schreibst, kannst nur du selbst dir beantworten. Doch bitte nimm dir wirklich einmal die Zeit und kläre das für dich, denn wenn du dein Motiv nicht kennst, tappst du schneller in die Falle, als du überhaupt schauen kannst.
Reagierte ich bei Schreiben auf Bestellung zu heftig?
Warum ich auf diese Frage erst einmal so heftig reagierte, ist leicht erklärt: Ich selbst schreibe, weil ich in eine Geschichte eintauchen und spielen will, und wenn es mich nach der Puppenecke gelüstet, werde ich bei den Bauklötzen keinen Spaß haben (und nebenbei bemerkt auch nicht gut sein). Ich dürfte solch ein Projekt daher niemals annehmen. Doch wenn deine Motivation ist, anderen einen Gefallen zu tun, dann sieht die Sache gleich ganz anders aus. Oder wenn du für den Applaus schreibst. Vielleicht wärst du ja sogar der perfekte Ghostwriter? Willst du dieses Projekt immer noch schreiben? Gut, dann gehen wir es jetzt an.
Für wen schreibst du?
Jutta schreibt diese Geschichte für ihren Mann, sie hat ihr Zielpublikum somit in der eigenen Wohnung sitzen. Sie schlürft mit ihm ihren Kaffee, weiß, wie viel Zahnpasta er sich auf die Tube drückt, kurz gesagt, sie kennt ihr Publikum in- und auswendig. Kennst du deine Leser auch so gut? Was erwarten sie sich? Im Idealfall decken sich die Lektürevorlieben deiner Lieblingsleser mit deinen eigenen. Dann schreibst du nicht nur für sie, sondern auch für dich selbst und tobst dich in der Puppenecke aus.
Schlüpfe in deine Leser
Wenn diese Vorlieben aber von den deinen abweichen, brauchst du einen Trick. Du bist Autor, du kannst in jede x-beliebige Figur schlüpfen, also schlüpfe als Erstes in deinen Leser. Du hast beschlossen, ihm mit diesem Projekt einen Gefallen zu erweisen? Dann ist er die erste Figur, der du dich widmest. Wann immer du deinen Roman schreibst, bist du er. Denkst wie er, lachst über die Stellen, über die auch er lacht, ärgerst dich mit ihm über dieselben Verhaltensweisen. Wenn du an den Computer gehst, vergisst du dich selbst, dich und deine Vorlieben, und das mindestens ein Jahr lang. Denn das ist die Zeit, die du brauchst, um einen guten Roman abzuliefern.
Stopp, stopp, stopp! Hast du gerade dasselbe Würgen im Hals wie ich? Stülpt es auch dir gerade den Magen um? Dann bist auch du nicht zum Auftragsschreiber geeignet.
Kannst du wirklich so lange in diesem Zustand leben, oder brennst du aus, bevor du andere entzündest? Doch wie kommst du aus dieser Nummer nun wieder raus?
Mache das bestellte Projekt zu deiner eigenen Sache
Dein Mann, deine Freundin oder wer auch immer sich diese Geschichte bestellt hat, wird sie nur dann genießen können, wenn auch du mit vollem Herzen dabei bist und deine Energie in jede einzelne Zeile schreibst. Leser spüren nämlich, ob deine Seele in diesem Roman steckt, oder ob er nur lieblos heruntergeschrieben ist. Jutta fragte nach einem Trick, wenn das Thema die eigenen Ideale oder Interessen nicht voll trifft. Diesen Trick gibt es tatsächlich:
Schaffe dir Figuren, die dein Herz höher schlagen lassen
Arbeite zumindest den Protagonisten oder eine ganz wichtige Hauptfigur so aus, dass sie deinen Vorlieben und Werten entspricht. Statte sie mit Charaktereigenschaften aus, die etwas in dir zum Klingen bringen. Nimm dir Zeit für sie und leg erst dann los, wenn sich dein Herzschlag beschleunigt, sobald du an sie denkst. Die Figuren sind der Schlüssel zu unseren Emotionen, zu denen der Leser, aber auch zu deinen als Autor. Kuschelst du dich richtig in diese Figur ein, bringt sie deine Haut zum Prickeln? Sehr gut, jetzt kannst du schreiben.
Befriedige deine eigene Neugier
Eine Methode, um Romanthemen zu finden, ist die Was- wäre- wenn-Frage. Dein Auftraggeber hat sich ein bestimmtes Thema gewünscht, doch du selbst lotest aus, was alles passieren kann. Du hast also deine Figur, in die du jetzt schon ein bisschen verliebt bist, und wirfst sie in die bestellte Situation hinein. Gehst damit raus aus deinem Kopf und hinein in ihre Gefühle. Hat sie Angst, Wut, fühlt sie gar Euphorie? Will sie fliehen oder packt sie den Stier bei den Hörnern? Erforsche das vorgegebene Setting mit den Augen deiner Figur. Sie wird dir die Richtung weisen, die du mit Freude einschlagen kannst.
Bleib im Einklang mit deinen Überzeugungen und Werten
Interessen kann man erweitern, und ein Perspektivwechsel ist immer spannend und persönlich gewinnbringend. Sieh es als Experiment an, bleib nicht nur neugierig, sondern auch offen für neue Erkenntnisse. Doch welche Werte du mit deiner Geschichte transportierst, entscheidest immer noch du selbst. Wenn etwas deiner Überzeugung widerspricht, dann schreib es nicht oder lass deine Haltung durch die Verhaltensweisen deiner Lieblingsfiguren durchblicken.
Lass dich inspirieren, aber bleibe dir selbst treu
Mir lag eine andere Autorin in den Ohren, ich solle doch einmal einen Underdog schreiben, weil Leser die angeblich so sehr lieben. Richtig, ihre Leser lieben sie. Aber nicht meine. Meine Leser (und ich selbst) wollen charismatische Figuren. Helden, die über sich hinauswachsen und sich notfalls auch aufopfern. Wochenlang hörte ich jedoch in enervierender Regelmäßigkeit, die Underdog-Liebhaber zahlen die Miete.
Das wäre ein Argument gewesen, wenn meine Schreibmotivation das Dagobert-Duck-Syndrom wäre. Ist es aber nicht, ich hätte gegen nur widerwillig gegen meine eigenen Werte und Überzeugungen angeschrieben. Der Cinderella-Plot entspricht weder meinen Vorlieben noch meinem Weltbild, also wurde die Underdog-Geschichte, die ich dann tatsächlich schrieb, alles andere als kitschig-romantisch. Stattdessen zeigte ich die Schonungslosigkeit auf, mit der echte Underdogs konfrontiert sind.
Schreib deine eigene Wahrheit
Manchmal äußern vertraute Menschen Wünsche, die wir nicht erfüllen können, weil sie sich für uns falsch anfühlen. Ich habe einen Testleser, man könnte ihn schon fast kongenial nennen, weil er sich zuverlässig mit denselben Figuren identifiziert wie ich. Weil er mit Haut und Haaren in sie hineinschlüpft und in ihnen lebt. Manchmal aber handeln sie anders, als er sich das vorstellt. Wenn es um Logikfragen geht, bin ich für diese Hinweise dankbar, bei Charakterfragen gehe ich jedoch keinen Kompromiss ein.
Wenn du auf Bestellung schreibst, wirst du in noch weit stärkerem Ausmaß mit den Wünschen und Vorstellungen deiner Auftraggeber zu kämpfen haben. Bleib standhaft. Du bist die Autorin, es ist deine Geschichte, und eine Geschichte erzählt immer die Wahrheit des Autors.
Romanschreiben ist kein Wunschkonzert
Wenn jemand will, dass eine Geschichte zu hundert Prozent seinen Vorstellungen entspricht, muss er einen Ghostwriter beauftragen. Ghostwriting funktioniert ganz anders als Romanschreiben und nebenbei bemerkt ist es extrem teuer. Sobald du deinen Namen oder dein Pseudonym aufs Cover schreibst, verantwortest du selbst die Geschichte. Dann sollte es aber auch wirklich deine sein.
Pass auf deine Autorenmarke auf
Du ziehst es also wirklich durch? Ich glaube, jetzt bist du gewappnet. Doch zu guter Letzt noch ein ganz wichtiger Tipp für die Veröffentlichung: Wie fügt sich diese Geschichte in deine bestehenden Publikationen ein? Ist sie das, wofür du stehst und in Zukunft stehen willst, und werden deine eigenen Leser auch bei diesem Roman mitgehen?
Wenn du diese Fragen nicht mit einem überzeugten Ja beantworten kannst, dann veröffentliche unter Pseudonym. Durchaus unter einem offenen, man darf ruhig wissen, dass du dahinterstehst. Aber deine bereits aufgebaute Marke sollte klar und eindeutig bleiben, damit deine Stammleser sich darauf verlassen können, was sie von dir bekommen.
Jetzt aber frisch ans Werk! Tauche ein in die Figuren, erforsche neue Settings und habe vor allem viel Spaß beim Schreiben!
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