Wert statt nutzen. Schreiben macht mutig

Wert statt Nutzen. Schreiben macht mutig

Hat mich das Schreiben verändert? Meine spontane, gefühlsmäßige Antwort ist ein klares Ja, aber das allein wird dir kaum reichen. Worin besteht diese Veränderung, kannst oder wirst auch du sie durchmachen? Beginnen wir mit der Veränderung, die am schnellsten eintritt und die du wahrscheinlich schon kennst. Aber sie ist erst der Beginn einer faszinierenden Reise.

Der Flow lässt dich erst losgehen

Ohne das Schreiben wäre ich um eines der schönsten Gefühle in meinem Leben umgefallen. Um den Flow. Nein, stimmt nicht ganz, denn vom Lesen kannte ich ihn bereits, doch das ist nicht ganz dasselbe. In einem guten Buch kann ich schon auch versinken, Welt und Alltag komplett hinter mir lassen. Aber das Schreiben, das hat noch einmal eine ganz andere Dimension.

Beim Lesen bin ich passiv. Abhängig vom vorgegebenen Plot und den Figuren. Beim Schreiben kann ich beides selbst gestalten. Es ist ungefähr der Unterschied, ob du dich an Monopoly setzt oder bei einem Rollenspiel mitmachst.

Ich lebe meine spielerische Ader aus

Spielen ist bei mir so eine Sache. Mir fällt der naiv-blödelnde Umgang mit Kindern nicht leicht. Liegt es in meinen Genen oder hat mich das Leben so geformt, dass mir die Ratio immer dazwischenfunkt? Die Antwort darauf ist nicht wichtig. Wichtig hingegen ist, dass ich beim kreativen Schreiben meine spielerische Ader unbekümmert ausleben kann.

In der Schule genoss ich eine wirklich gute Aufsatzschulung und lernte dadurch, sauber, überzeugend und geschliffen zu argumentieren. Auf der Universität und in der Wissenschaft kam mir das zugute, doch in Wahrheit schnürte ich mir dabei selbst ein viel zu enges Korsett. Sehr, sehr lange habe ich mich für einen Verstandesmenschen gehalten und mein Gefühl ausgeklammert oder gar unterdrückt. Bis ich meine erste Geschichte schrieb.

Schreiben hat mich zu mir selbst geführt

Am Anfang war das kreative Schreiben für mich Flucht und Befreiungsschlag, was man meinem Debütroman auch anmerkt. Da musste sehr vieles auf sehr wilde und heftige Art raus, ich brauchte das Ventil. Endlich, mit über 40, holte ich meine Sturm-und-Drang-Zeit nach. Im Schreiben konnte ich Gefühle intensiv ausleben, und das hat mich definitiv verändert. Ich stehe nun nicht nur zu meiner Emotionalität, sondern weiß jetzt auch, dass erst sie mich richtig gut macht.

Seit ich schreibe, fühle und lebe ich viel intensiver. Schreibend habe ich die Barrieren eingerissen und die Mauern gesprengt. Nun sehe ich die Schönheit um mich herum und bekenne mich auch viel leichter und selbstverständlicher zu meinem Bedürfnis nach Schönheit. Ich begegne ihr in so vielen Bereichen, weil ich dieses Bedürfnis nicht mehr hinter Funktionalität und Nutzen zurückstelle.

Je mehr ich schrieb, desto mutiger wurde ich

Mut ist eine Eigenschaft, die ich mir früher nicht zugeordnet hätte. Wie denn auch? Mut hat nichts mit Funktionieren zu tun (eher mit dem Gegenteil), und ich bin bei körperlicher Bedrohung auch ein ziemlicher Angsthase. Nicht von ungefähr konnte ich Julian so gut schreiben.

Aber da ist eben auch der Marchese, dessen Mut schon an Tollkühnheit grenzt. Da ist Merahwi, der zwar innerlich Angst hat, diese Angst aber in eine unglaubliche Coolness umwandeln und sein Pokerface aufsetzen kann. Oder eine Gräfin, die die einengende Frauenrolle ihrer Zeit nicht akzeptiert und einen zwar schwierigen, aber eigenen Weg geht.

Durchs Schreiben wurden mir meine eigenen Werte viel klarer

Wenn ich schreibe, schlüpfe ich in meine Figuren und schreibe aus ihnen heraus, damit sich Leser besser auf sie einlassen können. Ich schreibe sie eben nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Gefühl. Und genau dadurch schuf ich mir selbst die Role Models, die ich so lange vergeblich gesucht hatte.

Ich lebe in meinen Figuren Seiten aus, die ich mich nicht immer traue, öffentlich zu zeigen. Oder ich lege ihnen Aussagen in den Mund, die ich zumindest in meinem Umfeld nicht für sozial verträglich halte. Dadurch lernte ich mich und meine eigenen Persönlichkeitsanteile nach und nach besser kennen. Und wenn ich sie kenne, kann ich entscheiden, wie ich mit ihnen umgehe.

Ich bin viel echter geworden

Da ich meine Werte nicht mehr abstrakt definiere, sondern über meine Figuren auslebe, sind sie jetzt wesentlich greifbarer für mich. Ich muss sie mir nicht mehr mit dem Verstand konstruieren, sondern sie sind emotional aufgeladen. Dadurch spüre ich viel früher, was meine eigenen Werte sind und wo ich nur nachbete, was andere vorplappern, was politisch korrekt sein mag oder in der Gesellschaft vermeintlich gut ankommt.

Damit schließt sich der Kreis zum Mut. Auf einmal empfinde ich Mut sehr wohl als eine meiner Eigenschaften. Weil mir mein Wunsch nach Echtheit so wichtig ist, dass ich gewisse Risiken eingehe. Seit ich meine eigenen Werte kenne, bin ich weder Duckmäuser noch Rebell, sondern habe schlicht und einfach Rückgrat.

Schreiben zeigte mir mein wahres Selbst

Schreiben und Denken gingen für mich schon seit Langem Hand in Hand. Ein Stift zwischen oder die Tastatur unter den Fingern helfen mir, einen Gedanken zu entwickeln. Viel besser, als einfach drauflos zu plappern oder lediglich im Kopf Gehirnakrobatik zu betreiben. Der wahre Durchbruch kam jedoch erst, als ich meine eigene Fantasie und meine Vorstellungskraft begriff.

In einer autoritätsgläubigen Beamtenfamilie (mein Vater war ein hochrangiger Polizeioffizier) und eingebunden in einen analytischen Zahlenberuf standen meine Chancen nicht hoch, mein wahres Selbst zu entdecken, geschweige denn dazu zu stehen. Kunst und Kultur wurden bei uns durchaus geschätzt, aber als Konsumgut. Eine Künstlerseele war schwer zu begreifen.

Künstlerin und Schöpferin

Aber genau das bin ich. Schreiben, das ist für mich nicht nur das Spinnen eines Plots. Schreiben ist eng mit Vorstellungskraft verbunden. Deshalb verstehe ich auch nicht, wenn andere ihre Figuren nach realen Personen formen, weil ich damit das Wesen des Schreibens verschenken würde. Den schöpferischen Akt. Mit meinem Vorstellungsvermögen baue ich mir ganze Settings, einen Figurenkosmos und gestalte die Welt nach meinem Willen.

Diese Kraft musste ich erst einmal entdecken und als solche begreifen. »Als sein Ebenbild schuf er ihn.« Mittlerweile glaube ich, dass dieser Teil der Schöpfungsgeschichte, die Erschaffung des Menschen als Gottes Ebenbild, genau das meint. In uns steckt die Fähigkeit zu erschaffen, das schöpferische Prinzip. Gott hatte keine Blaupause, und auch wir brauchen keine. Niemand lebt das radikaler als Künstler.

Heute stelle ich Wert über Nutzen

Kunst, Kultur, Unterhaltung gelten in unserer Zeit als Luxus. Als Hobby. Als Spleen. Es erfordert Mut, sich dem Nutzengedanken zu entziehen, sich als Künstlerin zu verstehen und als solche zu bekennen. Ich bin in meiner Seele viel zu bürgerlich, um den Bruch komplett zu vollziehen, doch das Schreiben hat mich gelehrt, dass das gar nicht notwendig ist.

Meine Kreativität lebe ich mittlerweile in unterschiedlichen Facetten aus. Ich male, ohne den Anspruch auf Meisterschaft. Neulich habe ich das Fotografieren für mich wiederentdeckt. Ich dekoriere gerne und nehme mir gelegentlich Zeit für Ikebana. Mit dem Schreiben jedoch bewirke ich etwas. Ich gestalte und forme die Welt und mache sie zu einem lebenswerten Ort. Beim Schreiben lasse ich andere die Tiefe des Lebens spüren.

Stimmt, das kreative Schreiben hat keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen. Aber es hat unbestreitbar Wert. Wert für unser Leben und für das unserer Leser. Ja, das Schreiben hat mich verändert. Es hat mir gezeigt, wer ich bin, was mir wichtig ist und dass ich den Mut habe, dafür einzustehen.

Don’t tell – Make them feel!

Deine Barbara

Schreibe nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Gefühl. Lass dich vom Schreiben zu deinen Werten führen und spüre, was dir wirklich wichtig ist.

PS: Manchmal poppen beim Schreiben Fragen auf. Wie du es so anlegst, dass du in deinen Lesern Gefühle erzeugst. Oder du hast den Drang, auch mal über das Schreiben selbst zu reden. Nur versteht dich keiner, weil Nichtkünstler mit diesen Fragen überfordert sind.

Wenn dir solche Gespräche fehlen, komm gerne in die Goldenen Stunden, dort ist dafür Platz. Dort findest du Gleichgesinnte, die dir gerne zuhören und mit dir über deine Leidenschaft diskutieren.