Das Telefon läutet, und schon entfaltet sich in deinem Roman ein Dialog. Gespräche setzen längst nicht mehr die physische Anwesenheit beider Gesprächspartner voraus. Doch ist ein Telefonat einfach ein Dialog? Natürlich. Aber einer mit sehr vielen zusätzlichen Möglichkeiten. Und auch mit Einschränkungen.
Inhalt
Warum schreibst du überhaupt ein Telefonat?
Wie bei jedem Dialog solltest du dir zunächst einmal über den Zweck des Telefongesprächs klar werden. Du musst sein Ziel kennen, um einen guten Spannungsbogen aufzuziehen. Denn auch ein Telefonat bleibt schlicht und einfach eine Szene und sollte daher den dramaturgischen Regeln einer Szene folgen.
Ich meinte mit dem Warum jedoch noch etwas Zweites. Den Zweck der Form. Warum lässt du das Telefon läuten und nicht einfach die Türglocke? Welche Vorteile bietet dir das Telefongespräch im Gegensatz zum Dialog von Angesicht zu Angesicht?
Dramatik oder Ökonomie?
Oft ist es mit enormem Aufwand verbunden, zwei Charaktere in denselben Raum zu bringen. Du musst mehrgliedrige Motivations- und Kausalitätsketten anlegen, A muss passieren, B darauf folgen und C dadurch auslösen, nur damit E sich zu F bequemt. Und das für einen Wortwechsel, der vielleicht fünf Repliken umfasst. In solch einer Situation sorgt ein Telefonat für Ökonomie, das Erzählen wird effizient, weil du dich auf das für die Handlung Wesentliche (nämlich den kurzen Gesprächsinhalt) beschränken kannst und deine Leser nicht mit nervigen Herleitungen langweilst.
Das Telefongespräch kann aber ebenso gut die Dramatik steigern. Das Läuten unterbricht ein anderes Gespräch, Informationen werden von außen eingeworfen, ganze Szenen auf den Kopf gestellt oder zumindest torpediert. Während deine Figuren eigentlich ganz andere Ziele verfolgen, geraten sie durch das Telefonat unter Beschuss.
Welchen Zweck erfüllt das Telefonat für die Figuren?
Wenn du deine Figuren nach dem Zweck des Telefonats fragst, erhältst du mit ziemlicher Sicherheit eine ganz andere Antwort. Aus welchen Gründen haben sie zum Hörer gegriffen? Sicher nicht, um dir das Erzählen zu erleichtern. Auch diese Absicht solltest du kennen, denn aus ihr leiten sich Art und Verlauf des Gesprächs ab. Aus ihr entsteht der Subtext.
Wollen die Figuren eine ganz dringende Nachricht übermitteln und Zeit sparen? Oder müssen sie Distanz überbrücken? Wie groß ist diese Distanz? Ein paar Schritte bis zum Nachbarbüro, ein Häuserblock, eine halbe Stadt oder gar ein Kontinent oder Ozean? Wenn es sich ums Nachbarbüro handelt, stellt sich doch gleich auch die Frage, ob dein Held oder Gegenspieler schlicht und einfach zu faul für die paar Schritte ist, oder ob er seinem Gesprächspartner nicht ins Gesicht sehen will.
Was bedeutet die Distanz für die Figuren?
Wie das meiste im Leben hat nämlich auch Distanz zwei Seiten. Sie kann Absichten erleichtern oder erschweren. Für den vor Sehnsucht sterbenden Liebenden bedeutet sie Höllenqualen, für den Seitenspringer ist sie ein Segen. Nicht nur, weil er sich austoben kann, sondern auch weil er ohne die Lesbarkeit seiner Körpersprache viel schwerer einer Lüge zu überführen ist.
Wo sind in deinem Roman Telefonate dem persönlichen Gespräch überlegen? Für welche Absichten sind sie hinderlich? Durch ein Telefonat entziehst du deinen Figuren Mittel und Wege. Und nicht nur ihnen, sondern auch dem Erzähler.
Show, don’t tell im Telefonat
Erzähltechnisch gesehen macht es einen enormen Unterschied, wer das Gespräch mithören kann. Welche Teile kann man überhaupt mitbekommen? Hast du den auktorialen Erzähler gewählt, musst du dir hierüber wenige Gedanken machen, doch in der Personalperspektive oder in der Ich-Erzählung kann man möglicherweise nur eine Seite des Telefongesprächs hören. Ist der Perspektivträger Teilnehmer oder Zeuge des Telefonats?
Der Zeuge ist auf Beobachtungen angewiesen. Er kann den zweiten Teilnehmer nicht verstehen, allenfalls die Lautstärke mitbekommen, wenn der nicht anwesende Gesprächspartner ins Telefon brüllt oder flüstert. Der Zeuge wird das Gespräch aus den Reaktionen desjenigen ergänzen, der mit ihm im Raum ist. So wie dem Zeugen geht es übrigens auch deinen Lesern.
Wie überbrückt der Telefonierende die Zeit, in der der andere spricht? Wie sieht seine Mimik aus, wie seine Gestik? Rennt er aufgeregt im Raum herum oder erstarrt er? Wirkt er selbstsicher, aufgeregt oder verloren? Und du weißt ja bereits, Behauptungen gelten nicht, wir wollen selbst unsere Schlüsse ziehen. Auch Pausen spielen bei einem Telefonat eine Rolle (wie bei jedem Gespräch). In Pausen friert aber nicht einfach die Zeit ein, sondern in ihnen passiert etwas. Lass uns das spüren.
In welchem Setting erwischst du die Figuren?
Nur in den seltensten Fällen wird man sich eine Uhrzeit zum Telefonieren ausmachen. Die Gespräche sprengen meistens Situationen, in denen man sie am allerwenigsten brauchen kann. Zeig uns auch das. Ein Dialog, eine Handlung, die reibungslos vonstatten gehen, sind nicht sonderlich prickelnd. Man kann Gespräche übrigens auch herrlich verweigern. Nicht nur, indem man Hörer dramatisch auf die Gabel knallt, Rauschen und atmosphärische Interferenzen vortäuscht oder das Gespräch genervt wegdrückt. Man muss schlicht und einfach nicht abheben.
Lass es doch klingeln und zeig uns, wie es damit den Figuren geht. Der Zeuge ist möglicherweise ganz froh darüber, bittet vielleicht sogar darum, das Gespräch nicht anzunehmen. Oder er ist enttäuscht, weil jetzt erst recht die Neugier an ihm nagt, und bei der ersten Gelegenheit checkt er die Anrufliste. Was seine Neugier natürlich nur ansatzweise stillen kann. Der verschmähte Anrufer rastet vielleicht ob der schnöden Zurückweisung aus, oder er gerät in Panik, weil er die ultrawichtige Information nun nicht übermitteln kann. Du merkst schon, du hast nahezu unendlich viele Möglichkeiten.
Mach dir beim Telefongespräch die Technik zunutze
Nicht jedes Rauschen ist vorgetäuscht, manchmal ist die Verbindung wirklich der allerletzte Mist. Entstehen Missverständnisse durch die technisch schlechte Übertragung? Und wenn wir schon bei Missverständnissen sind: Wie oft werden Worte falsch interpretiert, weil die Gesprächspartner sich nicht sehen können? Im Telefonat tust du noch mehr als sonst gut daran, deine Figuren mit einer individuellen Sprache auszustatten.
Die Technik macht Riesensprünge. Musste man sich anfangs noch vom Telefonfräulein verbinden lassen, später darauf warten, bis der Viertelanschluss endlich frei wurde, rannte man Ende des vorigen Jahrhunderts noch auf der Suche nach Telefonzellen oder Münzzählern durch die Gegend. Dann schleppten die ersten Manager ihre großen Mobiltelefone durch die Gegend. Erst waren sie Statussymbole, dann wurden die wirklich wichtigen Personen die, die nicht ständig erreichbar sein mussten. Und die jüngsten Generationen scheinen mit ihrem Telefon schon verwachsen zu sein.
Auch die Gesprächsformen ändern sich
Früher hatten Telefonate noch richtigen Gesprächscharakter, heute variiert das von Fall zu Fall. Womit wir wieder beim Zweck für die Figuren wären. Rufen junge Leute überhaupt noch an oder kommunizieren sie über SMS? Ist SMS in Zeiten von WhatsApp nicht schon wieder out? Setzt der Manager ein Meeting an oder lässt er eine Konferenzschaltung herstellen? Wird er versuchen, über einen Videocall doch noch Informationen über die Körpersprache zu ergattern?
Wie macht man die modernen Kommunikationsweisen grafisch kenntlich?
Verbindliche Regeln für die Auszeichnung gibt es nicht. Es ist ähnlich wie bei der Gedankenrede, du hast mehrere Möglichkeiten, aber um deine Leser nicht zu verwirren, bleib bitte unbedingt konsequent. Ich behandle Telefonate wie direkte Rede und setze sie daher in »doppelte Anführungszeichen«. Die nicht zu hörende Replik des zweiten Teilnehmers stelle ich durch einen Gedankenstrich dar. Das sieht dann so aus:
»Merahwi. Sind Sie in der Nähe eines Computers? – Sehr gut. Wenn ich gleich von einem fremden Handy telefoniere, können Sie den anderen Teilnehmer zurückverfolgen? – Die Nummer habe ich. Ich will wissen, von wo er den Anruf entgegennimmt. – Genau. Den Ort. – Wie lautet Ihre Nummer, Tolya Grigorowitsch?«
(Aus: Tanz der Ikonen)
In diesem Fall telefoniert Merahwi mit seinem Angestellten, während Tolya der Zeuge ist. Zu hören ist ausschließlich Merahwi. Wenn du gerne Beispiele für viele unterschiedliche Formen und Funktionen von Telefonaten hättest, kann ich dir Tanz der Ikonen* übrigens wärmstens als Anschauungsmaterial empfehlen.
SMS und Whatsapp-Nachrichten behandle ich wie Briefe (im Grunde genommen sind sie ja auch Minibriefe). Als Zitat schriftlicher Äußerungen setze ich sie unter ›einfache Anführungszeichen‹.
Letztendlich bleibt es dir selbst überlassen, wie du Telefonate optisch darstellst. Viel wichtiger ist, dass du die Regel beherzigst, die für jeden Dialog gilt: Erspare uns Banalitäten. Bevor deine Figuren irgendetwas von sich geben, was die Handlung nicht weiterbringt, lass sie das Gespräch lieber verweigern. Und wenn sie es annehmen, dann denke dabei immer an deine Leser.
Don’t tell – make them feel!
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