Kannst du ein Buch weglegen, wenn dein Puls jagt, wenn dein Blick über die Zeilen hetzt und du mit dem Atmen gar nicht mehr nachkommst? Kannst du mitten in einer Verfolgungsjagd abbrechen, oder während einer schnellen Wechselrede? Nun, ich kann es jedenfalls nicht. Und das ist nicht nur eine Frage des Inhalts, sondern die eines ganz genialen Spannungselements: Tempo nimmt mich gefangen.

Der Trick ist, den Verstand auszuschalten

Tempo richtet sich nämlich nicht an unsere Vernunft, sondern es fährt in die Eingeweide. Wir reagieren darauf körperlich, mit unserem vegetativen Nervensystem, wir sind in einem der beiden Modi, die unserem Reptiliengehirn vertraut sind. Flucht oder Keule, Laufen oder Kampf. Und damit kriegst du deinen Leser bei seinen Instinkten. Schön und gut, das ist die Theorie, aber wie erzeugst du Tempo? Ein paar Möglichkeiten will ich dir aufzeigen:

In der Kürze liegt die Würze

Dass Schachtelsätze nicht für Tempo sorgen, wird dich nicht überraschen. Um einen Schachtelsatz aufzulösen, muss man ihn langsam und genau lesen, ein Schachtelsatz erfordert Mitdenken. Und genau das ist es ja, was du vermeiden willst. Besser ist es, kurze Sätze mit einfacher Syntax zu verwenden.

Nutze für Tempo die Interpunktion

Kurze Sätze steigern zwar das Tempo, sie bergen aber einen Nachteil, und der liegt im Punkt. Beim Punkt senkst du die Stimme, du kannst Atem holen und eine Pause machen, deshalb wirken Passagen mit vielen Stakkato-Sätzen abgehackt. Besser ist es, die Sätze mit Kommas zu verschleifen. Sieh dir den vorigen Satz an: Eigentlich besteht er aus drei kurzen Sätzen, durch die Interpunktion verleihe ich ihnen aber einen anderen, fast schwingenden Rhythmus.

Rhythmus trägt beim Lesen weiter

Rhythmus ist also nicht nur für versifizierte Texte geeignet und beschränkt sich nicht auf Lyrik und hohen Stil, du kannst durch ihn auch im Erzähltext interessante Effekte erzielen. Ich drücke zum Beispiel Emotionen gerne rhythmisch aus. Wenn sich meine Figuren in etwas hineinsteigern, verleihe ich ihrer Sprache eine andere Dynamik als in sachlicheren Passagen.

Reguliere den Atem deines Lesers

Mit Erzähltechnik beeinflusst du den Atem des Lesers und damit auch wesentliche körperliche Funktionen wie etwa den Pulsschlag. In der letzten Überarbeitungsphase prüfe daher, wann du beim Mitlesen Luft holst, und stelle notfalls Wörter oder auch ganze Sätze um. Damit der Leser dir nicht erstickt, baue Pausen ein, aber ganz gezielt. Du bestimmst, wann der Leser Atem holt, nicht der Leser.

Schnelle und langsame Wörter

Laut lesen oder zumindest gedanklich mitzulesen hilft dir auch, die Qualität einzelner Wörter zu erkennen. Auch lange Wörter können sich unter Umständen schnell lesen, wenn sie in den Satzrhythmus passen, manchmal kann eine Silbe fehlen oder zu viel sein.

„Wenn Sie ein Adjektiv sehen, bringen Sie es um.“ (Mark Twain) Manche Autoren haben richtige Adjektiv-Phobien entwickelt. Ich bin kein grundsätzlicher Adjektiv-Gegner, dazu aber an anderer Stelle mehr. Hier nur so viel: Unnötiger Adjektiv-Gebrauch drosselt immer das Tempo. Setze Adjektive daher sparsam ein und stets, um ihre Kraft zu nutzen.

Starke Verben reißen mit

Und wenn wir schon beim Thema sind, machen wir uns auch noch gleich auf Adverbien-Jagd, die kannst du mit den Adjektiven nämlich fast in einen Topf werfen. In der folgenden Kampfszene aus Das Gift der Schlange musst du beide aber schon suchen:

Er war doch auf sich allein gestellt! Packte den Gewehrlauf mit beiden Händen, drückte ihn zur Seite, in dem Moment peitschte der Schuss auf. Nur einen Fingerbreit neben seinem Hals fuhr die Kugel in den Boden! Er rammte dem Schützen die eigene Muskete in den Leib, sprang auf und hechtete nach dem Säbel. Zwei weitere Gewehre krachten, die Wucht warf ihn zurück, er fühlte brennenden Schmerz an der Schulter, die zweite Kugel zerfetzte seinen Ärmel. Der ganz links hielt das Gewehr noch im Anschlag, zielte genau auf seine Brust. Er riss das Messer aus dem Stiefel, schleuderte die Klinge ins Herz des Mannes. Mit dem Säbel stürzte er sich auf den Dritten.

Tempo entsteht hier vor allem durch die Verben. Sie sind mit Gewalt oder zumindest mit Kraftanwendung aufgeladen (packen, peitschen, rammen, schleudern), oft sogar lautmalerisch (peitschte, krachte, zerfetzte, riss). Springen, hechten, werfen, stürzen geht schon semantisch nicht langsam, und die Alliteration (die Wucht warf ihn zurück) markiert den Aufprall der Kugel. Wucht ist ein ganz kurzes Wort, so kurz wie der Schuss, und in werfen stecken die Gewalt, die Energie und die Bewegung.

Für mehr Tempo schlüpfe in die richtige Perspektive

Nicht jeder Text muss sich lesen, als bretterst du mit 200 km/h über die Autobahn, aber gerade wenn du auf Tempo schreiben willst, ist die Wahl der Perspektive entscheidend. Ein Beobachter kann langsamer unterwegs sein als der Beteiligte, doch du willst den Leser ja zum Beteiligten machen. Eine schnelle Szene zu beschreiben ist ungleich schwieriger als sie zu erleben, also stütze dich auf den inneren Monolog oder die Personalperspektive.

Wenn es schnell geht, denkt man anders

Vor allem denkt man nicht mehr grammatikalisch korrekt, sondern eher in kurz aufblitzenden Bildern. Reptiliengehirn eben. Ich gebe dir ein Beispiel, ebenfalls aus Das Gift der Schlange:

Er fühlte heißen Atem im Nacken und riss das Messer aus dem Hemdsärmel, wirbelte herum, zog die scharfe Klinge über ein Gesicht. Das Gebrüll rief die anderen herbei, er entriss dem Verletzten den Säbel. Fort! Verdammt, wo war er? Lauter Sackgassen, wieder umkehren, nach rechts! Er keuchte, stolperte vorwärts, hinter ihm Schritte, um ihn herum! Doch hinunter, die Stiege war jetzt frei … Aaaahh! Hinterhältiges Pack! Kopf einziehen, abrollen, er schlug auf dem Treppenabsatz auf und sein Atem raste! Soldaten trampelten die Stufen herunter, jetzt hatte er den Säbel, aber es waren zu viele, zwei könnte er töten, aber nicht fünfzehn! Wieder weiter, seine Beine zitterten. Durchhalten! Immer dieses verdammte Geräusch, überall Laufschritt und Soldatenstiefel!

Auch wenn du keine Verfolgungsjagd schreibst, kannst du diese Technik anwenden. Wenn dein Protagonist vor einer Prüfungskommission steht, wird er sich das Manuskript auch eher bruchstückhaft abrufen. Oder die Hexe, die den Zaubertrank mischt, das Rezept. Die Mutter, der das Abendessen gleich anbrennt, hat keine Zeit für elaborierte Gedanken, und der Broker, der in Sekundenschnelle Millionen jongliert, denkt auch nicht in korrektem Deutsch. Oder Englisch.

Schnelle Dialoge

Was für die Gedankenrede gilt, trifft erst recht auf den Dialog zu, auch hier kannst du Tempo erzeugen. Du kennst es ja aus dem Alltag: Wenn jemand monologisiert, schlafen die anderen meistens ein, und am liebsten würdest du den Schwafler beim Reden anschieben, damit er endlich zum Punkt kommt. Im Roman ist das nicht anders. Dialoge lesen sich dann schnell, wenn Schlag auf Schlag folgt, Replik auf Replik.

In vielen Romanen ist es üblich, bei Wechselreden mit jeder Replik eine neue Zeile anzufangen. Verpflichtet bist du dazu nicht, es gibt auch Autoren, die ihre Figurenreden durch Gedankenstriche trennen. Ich rate dir aber dazu. Der Effekt ist ähnlich wie im Versdrama, wo Reden auch optisch gegliedert sind. In den beschaulichen Dramen Goethes etwa geht eine Replik meist über mehrere Zeilen, bei Tempo- und Action-Künstlern wie Schiller und Shakespeare hat die Figur gerade mal einen Vers oder gar nur einen halben zur Verfügung. Diese Technik hilft dir, die Redeanteile sofort zu erkennen, deine Dialoge schnell zu gestalten, pointiert zu schreiben und zu rhythmisieren.

Und was machst du?

Das waren einmal ein paar Vorschläge, wie du Tempo erzeugen kannst. Welche Möglichkeiten nutzt du besonders gerne? Welche gefällt dir am besten, welche wirst du demnächst ausprobieren?

Ich wünsche dir wie immer viel Spaß beim Schreiben und diesmal ganz besonders beim Geschwindigkeitsrausch!

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