Wounded Heroes. Alleine die Bezeichnung klingt schon wie Musik in meinen Ohren. Lange Zeit meinte ich, mich für das aufgeregte Kribbeln schämen zu müssen, das mir bei der Vorstellung eines verletzten Helden über die Haut läuft. Was bitte muss das für ein Mensch sein, der Helden leiden sehen will? Das ist doch richtig pervers! Nein, nicht unbedingt. Vor allem ist der Wounded Hero ein großartiger Archetyp. Er befriedigt nämlich gleich mehrere Lesersehnsüchte und bindet daher dein Publikum ganz eng an deinen Roman.

Wer will schon Superhelden?

Stehst du auf alleskönnende Abziehbildchen? Ich nicht. Ich finde sie unerträglich langweilig, und auch dein Roman wird nie richtig Fahrt aufnehmen, wenn deinem Helden alles gelingt und er unaufhaltsam wie ein Roboter durch die Handlung marschiert. (Oder deiner Heldin, alles gilt natürlich genauso für deine Protagonistin.) Was beim Lesen so richtig fesselt, ist nicht der gezielte Handkantenschlag, nicht die grandiose Explosion und auch nicht der Moment, in dem der gemobbte Underdog zum Shooting Star oder zur Ballkönigin gekrönt wird. Was fesselt, ist das Ringen davor. Und damit es überhaupt zu diesem Ringen kommen kann, muss dein Held angreifbar sein.

Sogar die vermeintlichen Superhelden sind verwundbar

Hast du dir schon einmal einen James Bond angesehen? Ich kenne bei weitem nicht alle 007-Filme, aber in allen, die ich gesehen habe, kommen Folter- oder kurze Leidensszenen vor, meist sogar beides. In Goldeneye sitzt der einsame Wolf am Strand, der Wind zerzaust sein Haar, und im Dialog mit dem Bondgirl wirkt er so verloren, dass man ihn in den Arm nehmen und trösten möchte. (Was sie im übrigen auch tut, nach dem Schnitt geht diese Sequenz in eine Bettszene über. 😉 )

Warum Leidensszenen so wichtig sind

Ich weiß ja nicht, auf was für einen Typ Mann oder Frau du stehst. Sind es die toughen Kerle oder die smarten? Die scheuen und schüchternen oder die cleveren, die verschmitzten? Die souveränen, die scheinbar jede Situation im Griff haben, und denen du dich bedenkenlos anvertrauen kannst? Auf diesen letzten Typ fahre ich regelrecht ab, viel mehr als auf die kernigen Kampfmaschinen. Aber meine Lieblingsszenen sind auch bei diesen Helden immer diejenigen, in denen der Verputz in der perfekten Fassade Risse bekommt. Denn dann kann ich dem Helden nah sein und ihm etwas zurückgeben. Dann kann ich den verletzlichen Menschen in ihm sehen, ohne ihn deshalb gleich zum schwächlichen Softie oder gar zum Kind zu machen. Und wenn ich mich mit ihm identifiziere und selbst in die Heldenrolle schlüpfe, darf ich mich liebhaben und trösten lassen, ohne mein Gesicht zu verlieren.

Auch die stärksten Helden wollen wir trösten

Was haben meine Testleser mit mir schon geschimpft! Klaus tadelt mich für jeden Fehler, der meinen Helden unterläuft, leidet schockiert mit ihnen – und liest trotzdem oder vielleicht gerade deshalb gespannt weiter. Katja, meine erste Testleserin, empfing mich nach einem neuen Kapitel entrüstet: »Was hat der Marchese dir getan, dass du so mit ihm umgehst?« Aber es war Elke, die das Muster dahinter erkannte: »Du schickst ihnen immer jemanden, der sie tröstet.«

Genau das ist es nämlich. Meistens taucht das Love Interest auf, viel häufiger aber noch der Vertraute, um ihn wieder zusammenzuflicken. Dem Mentor hänge ich diese Aufgabe ebenso gerne an, manchmal sind es aber auch nur flüchtige Zufallsbekanntschaften, die zum richtigen Zeitpunkt in ein Zugabteil steigen. Auf diesen Moment kommt es mir an. Auf den Moment, in dem der starke Held einmal nicht stark sein muss und sich fallen lassen darf.

Bekannte Erscheinungsformen von Wounded Heroes

Bei der Recherche zu diesem Beitrag stieß ich auf einen Artikel von Kate Kyle, in dem sie unter anderem die Wounded Heroes auf den Damaged Hero zurückführt, auf den verletzten, beschädigten Helden. Sie nennt fünf Untertypen:

  • Scarred Hero – Held mit Narben (physische Narben im Gesicht oder am Körper, ringt mit dem Verlust seines Aussehens)
  • Wounded Hero – Held mit physischen Handicaps (Verlust eines Sinnesorgans, fehlende Gliedmaßen etc.)
  • Tragic Hero – tragischer Held (emotional geschädigt)
  • Tortured Hero – gefolterter Held (physisch, mental oder emotional missbraucht, am Boden, mit ganz wenig Selbstvertrauen)
  • Burdened Hero – Held mit einer Last (traut niemandem, lebt mit einem schrecklichen Geheimnis und sucht Vergeltung oder Absolution)

Das Problematische an Wounded Heroes – Wer ist überhaupt der Held?

Die Frage, welchen dieser Typen du schreiben willst, finde ich zunächst weniger wichtig als dein Warum dahinter. Worauf willst du hinaus? Soll der Held gerettet werden und wenn ja, durch wen? Diese Frage ist nicht nur für mich entscheidend, sondern auch für deine anvisierte Zielgruppe. Für die Leser, die du in erster Linie ansprechen willst.

Mal Hand aufs Herz, wer ist denn wirklich der Held in einem Roman, wenn das Love Interest den verletzten Helden rettet? Nicht von ungefähr findet sich meist in der Romance dieser Topos, in dem die Frau (oder in der Gay Romance der naive junge Mann) den einsamen Wolf aufliest, seine Wunden heilt und seine Liebe erringt. Da kann der Wounded Hero noch so charismatisch sein, Protagonist(in) ist trotz seiner Faszination die rettende Frau bzw. der reine, unschuldige Mann.

Der Wounded Hero kommt häufiger vor, als du vielleicht denkst

Ich habe einige Freundinnen, mit denen ich mir die Freizeit durch Figurenchats, also virtuelle Rollenspiele mit unseren Figuren, vertreibe. Bei diesen Chats stelle ich fest, dass jede auf die eine oder andere Weise einen Hang zum Wounded Hero hat und diesen Archetyp einbaut. Aber der Unterschied liegt gerade in der Rettung. Wenn du bereits einen meiner Romane gelesen hast, kannst du dir sicher lebhaft vorstellen, mit welchem Anspruch der Marchese oder der Hai an das Problem herangehen. Und wie sehr ich gegen die Helden meiner Freundinnen rebelliere, die auf die Rettung durch ihre Love Interests angewiesen sind. 😉

Meine Wounded Heroes müssen stark sein

Wenn Romane mich mitreißen sollen, muss der Wounded Hero selbst der Protagonist sein. Ja, ich habe unglaubliche Lust daran, meine Helden an ihre Grenzen zu treiben. Ihnen weh zu tun. Aber nur deshalb, weil ich weiß, dass sie es auch aushalten. Wenn eine schwache Figur drangsaliert wird, wird mir regelrecht schlecht. Das ist auch der Grund, warum ich nicht gerne von Underdogs lese. Ich will starke, außergewöhnliche Figuren ringen und leiden sehen, sie trösten, aber ich habe kein Helfersyndrom. Das heißt nicht, dass dein Helfersyndrom schlecht sein muss, wenn du eines hast. Das heißt nur, dass ich dann nicht zu deiner Zielgruppe gehöre.

Als ich noch für Karl May & Co. schrieb, interviewte ich im Zuge eines Bühnenberichts Thomas Koziol, den damaligen Winnetou-Darsteller. Eine Aussage von ihm hat sich mir regelrecht eingebrannt, sie traf absolut meinen Nerv: »Ein Held bist du dann«, meinte er, »wenn du am Boden liegst, man auf dich drauftritt und du noch einmal aufstehst.« Alle drei Teile seiner Erklärung sind für mich entscheidend: Am Boden liegen, das ist der Wounded Hero, der verletzte Held. Das Drauftreten muss nicht von außen kommen, das kann auch der innere Konflikt sein, es ist das verzweifelte Ringen. Aber das Aufstehen ist genauso wichtig. Thomas sprach nicht davon, dass man den Helden aufhebt oder aufrichtet, das muss er schon selbst tun.

Woran erkennt man optisch den Wounded Hero?

Ein Wort noch zum Aussehen deiner Wounded Heroes. Wie wenig das Erscheinungsbild über die tatsächliche Verletzung des Helden aussagt, wurde mir ebenfalls im Figuren-Chat klar. Du meinst, ein Tortured Heroe müsste vollkommen fertig daherkommen, mit Schatten unter den Augen, gebrochenen oder ausgerenkten Gliedmaßen? Dann freu dich auf Simones Donald, an dem sie eifrig schreibt. Der hat nämlich keines dieser Merkmale, ist aber ein Prototyp für den gefolterten Helden.

Yas‘ Faelyn hingegen hat ein feines, in meinen Augen sogar weiches Aussehen, äußerlich ist er schön und intakt. Sie spricht dafür von inneren Narben, und ich halte ihre Figur für einen Burdened Hero. Und doch ist er im Auftreten ganz anders als Merahwi, der Hai aus meiner Reihe Shark Temptations, ebenfalls ein Burdened Heroe. Interessanterweise teilen sie sich beide ihr Pokerface, doch Merahwi setzt es ganz bewusst ein, während es bei Faelyn noch wie ein Verband wirkt, den er trägt und mit dem er sich schützt.

Und der Marchese? Als Krieger hat der Marchese natürlich einen durchtrainierten, harten und auch vernarbten Körper (du weißt ja, unbesiegbare Superhelden sind langweilig). Ist er deshalb ein Scarred Hero? Nein, ganz und gar nicht. Er ist ein Tragic Hero, wie er im Buche steht, nur zeigt er es ausschließlich in ganz leisen, sehr privaten Momenten.

Und was bleibt nun für dich zu tun?

Wenn du selbst Wounded Heroes schreiben willst, sei vor allem ehrlich mit dir. Worauf kommt es dir wirklich an? Auf das Leiden, auf den Trost oder die Rettung? Für nichts davon musst du dich schämen, aber steh dazu. Denn dann kannst du den Plot um das Motiv herum aufbauen, dich ganz bewusst für den tatsächlichen Protagonisten entscheiden und die Sympathien steuern. Wenn du deine eigene Motivation kennst, entsteht ein Drive, der dich wie eine Urgewalt durch den Roman trägt. Sie hilft dir beim Schreiben und dieses starke Interesse werden deine Leser auch spüren und lieben.

Don’t tell – make them feel!

Deine Barbara

 

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